Amateurkolumne |31.08.2018|14:00

Amateur-Alltag: „Verträge“ auf dem Bierdeckel

Ja, es gibt sie: In den Kreisligen wird ein Vertrag auch schon mal auf dem Bierdeckel unterschrieben.[Foto: imago sportfotodienst]

Das Transferfenster in der Bundesliga schließt am heutigen Freitag, es ist Deadline Day! Doch auch in den Kreisligen der Republik dreht sich das Karussell. Joel Grandke beschreibt in seiner FUSSBALL.DE-Kolumne Amateur-Alltag die Transferperiode.

Fußball-Weisheit #14: „Ein Bauer muss sich auch mal von seinen Kühen und Schweinen trennen – auch wenn er eine gute Beziehung zu ihnen hat. (Hoffenheim-Coach Julian Nagelsmann über die Abgänge von Sebastian Rudy und Niklas Süle zu den Bayern)

Da klimpert‘s kräftig im Phrasenschwein. Kollege Nagelsmann weiß, dass Landwirtschaft und Fußball manchmal nah beieinander liegen. Bei aller emotionalen Bindung zu Mensch oder Tier darf nicht vergessen werden, dass die Romantik in so einem Geschäft auch mal auf der Strecke bleibt. Für Bundesligavereine stehen besonders im Sommer zahlreiche Abschiede an, die teils schwer zu verschmerzen sind. Wenn das Transferfenster öffnet, kommt Bewegung in die Teams. Verdiente Spieler suchen sich neue Herausforderungen und werden durch frische Gesichter ersetzt, die wiederum bei ihrem vorherigen Verein eine Lücke hinterlassen. Auf höchstem Niveau sind die Wechsel meist mit hohen Ablösen verbunden. Hier werden Abermillionen in Umlauf gebracht, um das Transferkarussell in Gang zu setzen. Bei diesen Fahrpreisen kann einem schon mal schwindelig werden. Die Trainer und Manager überlegen daher genau, welche Spieler mit dem verfügbaren Budget die bestmöglichen Verstärkungen für ihr Team wären.

Im Amateurbereich kann man von solchen finanziellen Mitteln nur träumen. In den untersten Ligen der Republik verdienen die Spieler kein Gehalt, zudem sind die niedrigen Ablösen vom Verband festgelegt. Große Verhandlungen im verrauchten Hinterzimmer sind daher selten. Beim Hobbykicken geht es schließlich nicht ums Geld. Drama und Missgunst, Streitigkeiten und böses Blut gibt es allerdings sehr wohl in den Kreisklassen. Wahrscheinlich sind diese Emotionen sogar noch intensiver als im Bezahlfußball. Hier spielt schließlich niemand mehr um die große Karriere, hier sprechen meist nur persönliche Gründe für einen Vereinswechsel.

"Auf der Zelt-Fete kann man gern mal zwei bis drei Cola-Korn aus der Vereinskasse spendieren"

Intensive Kader-Analyse

Als Außenstehender mag man vielleicht denken: „Naja, es wird ja nur auf Amateurniveau gekickt. Da versammelt ein Club einfach die Leute aus der Gegend, die Lust haben, ein bisschen zu kicken. Und wer am Wochenende Zeit hat, spielt.“ Wer so denkt, hat den Fußball nie geliebt. Auch in der Kreisliga wird intensiv über das vorhandene Spielermaterial und eine passende Taktik diskutiert. Anfang der Saison werden zunächst mal alle Spielerpässe auf dem Tisch verteilt und nachgezählt, wie viele Jungs überhaupt zur Verfügung stehen. Die Hälfte der Pässe kann dabei direkt wieder ins Archiv wandern, da diese Karteileichen schon seit Jahren nicht mehr am Sportplatz gesichtet wurden. Bei den Übriggeblieben geht es dafür in die Tiefe: Wer kann offensiv spielen? Wer wäre eher für die Defensive geeignet? Die Team-Verantwortlichen analysieren die Stärken und Schwächen ihrer Hobbykicker bis ins Detail, als wären sie Nationaltrainer vor der Nominierung ihres WM-Kaders. Bei unserem Kreisligaverein ist man sich einig: Der 2-Meter-Hüne ist deutlich zu langsam und schwerfällig für das Mittelfeld, könnte aber sowohl den Libero als auch den Mittelstürmer geben. Der technisch passable Nachwuchsspieler hat in der Jugend zwar nur den Rechtsaußen gegeben, aber könnte auch zum Außenverteidiger umgeschult werden. Man müsste ihm allerdings beibringen, dass man sich auch bei Defensiv-Zweikämpfen schmutzig machen darf.

Im besten Fall lassen sich die Baustellen im Kader mit Spielern aus dem eigenen Nachwuchs beseitigen. Dennoch schauen sich die Vereine stets nach externen Verstärkungen um. Da nicht mit dem großen Geld gewedelt werden kann, müssen andere Argumente her, um den Spieler von seinem Team zu überzeugen. Hier wird kein schriftliches Angebot per Post in den Briefkasten geschmissen, sondern langfristig belabert. Ob Trainer, Betreuer oder Spieler: Sobald jemand dem potenziellen Neuzugang begegnet, wird das Interesse stets aufgefrischt: „Ich habe gehört, du kickst nächstes Jahr bei uns mit? Gute Entscheidung!“ Das kann auf der Arbeit, beim Einkaufen oder an der Tankstelle passieren und sich über Monate ziehen. Irgendwann sind sie alle weichgeklopft. Am besten funktioniert diese Taktik beim Feiern. Auf der Zelt-Fete kann man gern mal zwei bis drei Cola-Korn aus der Vereinskasse spendieren, um dem Jungen klarzumachen: „Bei uns bist du in besten Händen!“ Der absolute wasserdichte „Vertrag“ kann dann direkt auf einem Bierdeckel ausgestellt und unterzeichnet werden.

Umschulung als schlagendes Argument

Es gibt genügend Gründe, warum auch unbezahlte Kreisliga-Kicker Lust auf einen Tapetenwechsel haben können. Eventuell erhalten sie bei seinem aktuellen Team zu wenig Spielzeit oder sind mit seinem Trainer einfach nicht auf einer Wellenlänge. Andererseits könnten sie auch einfach Bock haben, mit alten Kollegen oder Kumpels zusammen zu zocken, die bei einem anderen Verein aktiv sind. Für einige ist sogar die Aussicht auf eine Umschulung ein Argument: Der Ersatzkeeper des Nachbarvereins lässt sich auch mal zu einem Wechsel breitschlagen, wenn ihm beim neuen Club ein Stammplatz in der Zweiten Herren versprochen wird – als Stürmer. Anstatt aushilfsweise die Tore zu verhindern, kann er so regelmäßig für die Zwote knipsen. So werden auch verborgene Talente entdeckt.

Egal, wie viele Neuzugänge auch präsentiert werden können: Am Ende macht es die richtige Mischung. Es gehören natürlich mehr als elf Spieler zum Team. Aufgrund von langfristigen Ausfällen, berufsbedingten Absagen oder purer Lustlosigkeit benötigen Kreisklassenvereine eine Vielzahl an Ergänzungsspielern. Im Laufe der Saison bekommen somit auch die Spieler die Chance, die fußballerisch sonst eher in der zweiten Reihe stehen. Wer am Anfang der Saison also einige seiner liebsten Kühe und Schweine abgeben muss, sollte nicht verzagen. Und mit ein bisschen Geschick und Überzeugungskraft lassen sich sicher passable Nachfolger finden, die die Einhaltung ihres Zelt-Feten-Vertrags als Ehrensache ansehen.


Joel Grandke, Buchautor und aktiver Amateurkicker aus Hamburg, spürt in seiner wöchentlich auf FUSSBALL.DE erscheinenden Kolumne der Faszination Amateurfußball nach. Stets mit einem Augenzwinkern.