Saka: Baumberg und Erndtebrück statt BVB
Über Bielefeld zum BVB und Baumberg: Kosi Saka erlebt Geburtstag, Weihnachten und Ostern auf einen Tag.[Foto: privat/Collage FUSSBALL.DE]
Borussia Dortmund führt am 19. September 2005 mit 2:0 gegen Hertha BSC, als BVB-Trainer Bert van Marwijk einen Youngster aufs Feld schickt: Kosi Saka, elf Jahre vorher mit seiner Familie aus dem Kongo nach Deutschland gekommen, um dem Bürgerkrieg in seinem Heimatland zu entfliehen, wird für Delron Buckley eingewechselt. Für den jungen Stürmer fallen nicht zum ersten Mal Geburtstag, Weihnachten und Ostern auf einen Tag. Heute spielt Kosi Saka beim Niederrhein-Oberligisten Sportfreunde Baumberg, sein acht Jahre jüngere Bruder Nino kickt ebenfalls in der Oberliga, in Westfalen beim TuS Erndtebrück – die neueste Folge unserer Serie Familienbande.
„Wenn ich daran denke, kriege ich noch heute eine Gänsehaut. 70.000 Zuschauer schreien deinen Namen, unfassbar!“, erinnert sich Kosi Saka an den großen Moment vor nunmehr über 13 Jahren: „Ich weiß noch genau, dass mir Sebastian Kehl auf dem Platz etwas zugerufen hat, aber ich habe überhaupt nichts gehört.“
Mit dem ersten Bundesligaspiel - und dann noch für seinen Lieblingsverein - geht für Kosi Saka ein Traum in Erfüllung. Als er 1994 mit seinen Eltern aus Kinshasa nach Deutschland auswandert, landet er in Bielefeld. Zwei Jahrzehnte vor der immer noch aktuellen großen und weltweiten Flüchtlingsbewegung ist in Deutschland nicht viel von einer Willkommenskultur zu spüren. Die Sakas kommen in einer Flüchtlingsunterkunft unter, der kleine Kosi wächst in ärmlichen Verhältnissen auf und an einen Fußballverein ist nicht zu denken. „Wir hatten kein Geld für Schuhe, ich hatte nur Gummistiefel, mit denen ich in der Straße oder auf dem Hof auch Fußball gespielt habe“, verrät der heute 32-Jährige.
Die ersten Fußballschuhe kosten 10 Mark
"Es haben auch etliche andere Vereine angefragt, aber ich wollte nur zum BVB"
Als ihn sein damaliger Schulkumpel Dennis Padberg zum ersten Mal mit zum Training beim SV Gadderbaum mitgenommen hat, hat Kosi Saka eben Gummistiefel an, außerdem ein T-Shirt und Jeans. Was neben seinem bescheidenen Straßenoutfit auffällt, ist das überragende Talent. „Unser Trainer Ivan Pacheko hat mir sofort gesagt: ‚Kosi, nächste Woche kommst du wieder!‘ Meine Eltern sind dann mit mir in die Stadt gefahren und haben mir bei Woolworth ein Paar Victory-Fußballschuhe für 10 D-Mark – die waren runtergesetzt – gekauft“, berichtet Kosi Saka lachend.
Von da an ist der Junge aus Afrika nicht mehr zu stoppen. Technisch stark und superschnell auf den Beinen, wird der kleine SV Gadderbaum vor allem wegen Kosi Saka plötzlich E-Jugend-Stadtmeister und schlägt dabei sogar Arminia Bielefeld mit 1:0. Natürlich wird er daraufhin vom DSC sofort abgeworben – und zum ersten Mal fallen Geburtstag, Weihnachten und Ostern auf einen Tag. „Der D-Jugend-Trainer kam aus Kamerun, Augustin Kwamo Kamdem. Er hat mir bessere Fußballschuhe und richtige Trainingsklamotten besorgt“, erzählt Kosi Saka.
Auch für die Arminia ist Kosi Saka bald zu stark. Mit der Bielefelder Kreisauswahl, in der unter anderem auch Mehmet Akgün kickt, fällt er den Scouts von Borussia Dortmund auf. BVB-Jugendleiter Peter Wazinski spricht die Sakas an, ob Kosi zum BVB wechseln würde. Die Schwarz-Gelben haben zwar einen Fahrdienst, der die Nachwuchskicker aus der Umgebung von zu Hause abholt, aber von Bielefeld nach Dortmund sind es fast 100 Kilometer. „Also sind wir mit der ganzen Familie nach Dortmund gezogen. Der Verein hat uns eine Wohnung besorgt und meinen Eltern Jobs verschafft“, berichtet Kosi Saka und führt aus: „Ich war sowieso BVB-Fan, daher war es für mich das Größte, dass mich die Borussia haben wollte. Es haben zwar auch etliche andere Vereine angefragt, aber ich wollte nur zum BVB.“
Mit Nuri Sahin in der BVB-Jugend
Inzwischen ist auch sein sieben jüngerer Bruder Nino auf der Welt, er schließt sich dem Dortmunder Vorortklub TuS Deusen und später dem TuS Eving-Lindenhorst an. Kosi aber startet beim BVB voll durch. Er hat in Uwe Neuhaus, damals bei den Dortmunder Profis Co-Trainer unter Matthias Sammer, einen wichtigen Förderer. „Wie Nuri Sahin oder Marc-André Kruska, seine Mitspieler in der U 17, darf Kosi Saka schon als Jugendlicher öfters oben mittrainieren. "Tomas Rosicky, Christoph Metzelder, Christian Wörns, Lars Ricken und natürlich Leonardo Dede – das war einfach ein Traum für mich, mit solchen Stars auf einem Platz stehen zu dürfen“, gibt Kosi Saka strahlend zu.
Mit 17 wird er schon in die zweite Mannschaft in die Regionalliga hochgezogen und feiert dann, siehe oben, mit 19 sein Debüt in der Bundesliga. Auch Kongos Nationaltrainer Patrice Neveu wird bald auf das Talent aufmerksam, 2008 folgt die erste Einladung zu einem Länderspiel, es geht gleich gegen Togo mit dem großen Emmanuel Adebayor.
Kosi Sakas Karriere vom Gummistiefel-Kicker in Bielefeld-Gadderbaum bis in ausverkaufte Bundesliga-Arenen hat zu dem Zeitpunkt allerdings seinen Höhepunkt eigentlich schon hinter sich. Nach zwei Jahren beim BVB, in denen er zwischen der U 23 und den Profis pendelt, wechselt er zum Hamburger SV. „In dem Alter hat man keine Geduld und will natürlich spielen. Allerdings war es zu der Zeit noch eine Ausnahme, dass ein Jugendspieler wie Nuri Sahin gleich den Durchbruch in die Bundesliga schafft, sondern es wurde noch mehr auf erfahrene Leute oder Spieler aus dem Ausland gesetzt“, weiß Kosi Saka heute. In Dortmund geben Nationalspieler wie Christian Wörns, Christoph Metzelder, Torsten Frings oder Tomas Rosicky den Ton an, da fällt selbst ein Riesentalent wie Kosi Saka durchs Raster.
In Hamburg aber wird Kosi Saka noch weniger glücklich und lässt sich nach nur einem halben Jahr beim HSV zu Carl Zeiss Jena ausleihen. Weitere Stationen sind dann der KFC Uerdingen und seit 2014 die Sportfreunde Baumberg. „Ich war jung und habe teils auf die falschen Leute gehört. Klar hätte ich mehr aus meiner Karriere herausholen können, aber so ist es nun einmal gelaufen“, findet Kosi Saka heute.
Weil er in Uerdingen viel mit Verletzungen zu kämpfen hat, will er die Fußballschuhe schon an den Nagel hängen, aber sein Kumpel Ivan Pusic überredet ihn, nach Baumberg zu kommen. "Da bin ich jetzt bereits seit über vier Jahren. Die Entscheidung habe ich nie bereut. Es ist nur ein kleiner Klub, aber sehr gut aufgestellt, sodass wir in der Oberliga oben mitspielen und ich auf hohem Amateurfußball-Niveau noch kicken kann. Außerdem trainiere ich bei den Sportfreunden die C2-Jugend und möchte mich, wenn es zeitlich passt, noch mehr im Verein engagieren.“
An eine kleine Familienzusammenführung auf dem Fußballplatz ist (vorerst) nicht gedacht. Bruder Nino spielt zwar im gleichen Bundesland, nämlich in Nordrhein-Westfalen, aber von Baumberg, einem Stadtteil Monheims südlich der Landeshauptstadt Düsseldorf, bis nach Erndtebrück im Wittgensteiner Land sind es über 120 Kilometer. „Mal sehen, wo uns die Wege noch hinführen“, sagt Nino Saka und lacht.
Pokalhit gegen den HSV
Er hat es mit Wattenscheid 09 und dem TuS Erndtebrück bisher immerhin auf 68 Einsätze in der höchsten deutschen Amateurklasse, in der Regionalliga, geschafft. Aktuell kickt der vom Außenstürmer zum offensiven rechten Verteidiger umgeschulte 25-Jährige mit den Blau-Weißen in der Oberliga Westfalen , aber eine Etage höher will er schon gerne wieder angreifen. Sein Vorbild? Das ist nicht schwer: „Kosi, ganz klar. Er hat unsere gesamte Familie mit seinem Fußballtalent aus dem Asylantenheim geholt“, erinnert sich Nino Saka noch genau an den Tag, als plötzlich ein gewisser Matthias Sammer in Bielefeld-Gadderbaum vor der Tür stand.
Dass auch er ganz gut mit den Profis auf dem Platz mithalten kann, hat auch Nino Saka schon unter Beweis gestellt. In der ersten Runde des diesjährigen DFB-Pokals durfte sich der TuS Erndtebrück mit dem Hamburger SV messen. Zwar verlor der Fünftligist gegen den frisch ins Unterhaus des Fußballs abgestiegenen ehemaligen Bundesliga-Dino mit 3:5, doch die über 13.000 Zuschauer im Siegener Leimbachstadion sahen einen starken Nino Saka. „Wenn er weiter an sich arbeitet wie bisher und an sich glaubt, dann kann Nino auf jeden Fall höher spielen“, meint Bruder Kosi.
Er muss es wissen.