Trainerphrasen: Gras fressen als Ausweg
H96-Trainer Doll (r.): „Ich halte nichts von Phrasen. Kein Fan will von mir Durchhalteparolen hören. Die Fans möchten einen anderen Auftritt von uns sehen.“ [Foto: 2019 Getty Images]
Fußball-Weisheit #76: „Ich halte nichts von Phrasen. Kein Fan will von mir Durchhalteparolen hören. Die Fans möchten einen anderen Auftritt von uns sehen.“ (Hannover-96-Coach Thomas Doll)
Da klimpert’s kräftig im Phrasenschwein. Thomas Doll hat derzeit keinen leichten Stand. Hannover 96 holte ihn als Retter im Abstiegskampf, der das Team mit seiner Erfahrung wieder in die Spur bringen sollte. Seine ernüchternde Bilanz bis heute: sieben Spiele, sechs Niederlagen, nur ein Sieg. Zuletzt gab es im Test gegen Zweitligist Arminia Bielefeld eine peinliche 0:5-Klatsche. Selbst 96-Boss Martin Kind, der Doll in die Landeshauptstadt lotste, rückt mittlerweile von seinem Coach ab: Weder Trainer-Vorgänger André Breitenreiter noch Doll hätten das Potenzial der Mannschaft abrufen können. „Die Leistung in Stuttgart (1:5-Niederlage) war schon destaströs. Dass die Leistung beim Test in Bielefeld noch schlechter war, ist schon außergewöhnlich.“ Rumms. Das morgige Spiel gegen die kriselnden Schalker könnte für Doll schon einem Endspiel gleichkommen. Doll selbst, der ja offenkundig kein Fan von Durchhalteparolen und Phrasen ist, bedient sich in den schweren Wochen unzähliger Durchhalteparolen und Phrasen. Es müsse „mal wieder richtig der Baum brennen“, gab er unter anderem zu Protokoll. Wenn das Team „alles reinhauen“ würde, könne man noch „das Unmögliche möglich“ machen. Es sei an der Zeit, dass „die Jungs sich für den aufopferungsvollen Kampf und die Hingabe belohnen“ und auch mal mit Glück die drei Punkte einfahren. Es müsse ein anderer Wind wehen. Ein bisschen mehr Herzblut dürfte es bei den Spielern schon sein. Aber: „Die Jungs leben, die Jungs kämpfen, die Jungs tragen zurecht die Farben von Hannover 96.“ Obwohl Doll erst wenige Wochen auf der 96-Bank sitzt, droht das Hannoveraner Phrasenschwein schon zu platzen.
Sprachlosigkeit in Worte gefasst
Wenn die Ergebnisse ausbleiben und die Truppe tief im Tabellenkeller steckt, ist es für den Trainer natürlich schwierig, stets die richtigen Worte zu finden – vor allem nach Nicht-Leistungen, die sprachlos machen. Wie Doll es ganz richtig angemerkt hat: Entscheidend ist auf dem Platz. Als Coach kannst du auf dem Rasen nicht selbst in die Zweikämpfe gehen, du solltest deine Mannen aber dazu bringen können. Wenn du deine Truppe jedes Wochenende aufs Neue einschwören musst, greifst du eben auch mal in die Kiste der Klassiker-Sprüche. Das gilt für die Amateurtrainer natürlich genausp. Ein guter Anlass für die Beschreibung des ganz normalen Kreisliga-Abstiegskampfes – in der Phrasendrescher-Edition:
"Die Marschroute liegt auf der Hand: Man kann nur als Einheit in die Spur zurückfinden, den Karren aus dem Dreck ziehen und den Bock umstoßen."
Steckt die Mannschaft gerade in der berühmten „Ergebnis-Krise“, muss eine Wende her. Die Marschroute liegt auf der Hand: Man kann nur als Einheit in die Spur zurückfinden, den Karren aus dem Dreck ziehen und den Bock umstoßen. Die Gegner kochen ja auch nur mit Wasser. Da muss die Truppe das Glück auch mal erzwingen. Das klappt aber nur, wenn sie 110, 120 oder gleich 200 Prozent gibt und auch mal über die eigenen Grenzen hinausgeht. Dafür muss sie auf dem Feld gleichermaßen alles rein- und raushauen. Während der 90 Minuten darf der Fokus nur auf dem Gegner liegen, dazu muss der Platz umgegraben und Gras gefressen werden. Wenn am Ende weder Dreck und Kreide an den Bolzern kleben, lief etwas grundlegend verkehrt. Schön gewinnt schließlich kein Fußballspiel. Dass das Team nach zahlreichen Niederlagen kein hohes Selbstvertrauen hat, liegt in der Natur der Sache. Doch selbst nach einem durchwachsenen Spielbeginn kann man sich noch immer in die Partie hineinbeißen. Da wird gekratzt, gebissen und getreten – wir sind hier schließlich nicht beim Hallen-Halma. Im Abstiegskampf helfen halt nur die Grundtugenden. Es spielt keine Rolle, auf welch hohem Niveau ein Spieler in der Vergangenheit mal gekickt haben. Davon kann sich keiner etwas kaufen, wenn es Spitz auf Knopf steht.
Die Krisenzeiten gehen bei den Stürmern oft mit anhaltenden Ladehemmungen einher. Der Kopf ist nicht frei, solange die Erfolgserlebnisse ausbleiben. Da gehen auch die Bälle daneben, die sie sonst nachts um 3 Uhr mit verbundenen Augen reingemacht hätten. Die Angreifer müssen das Leder einfach mal reinwürgen oder notfalls mit Gewalt reinstolpern, um den berühmten Knoten platzen zu lassen.
Wer den Kopf aus der Schlinge ziehen und dem Abstiegsgespenst entkommen möchte, schafft das nur durch harte Arbeit. Das beginnt schon in der Woche, in der es keine zwei Meinungen gibt: Auch im Training muss deutlich mehr Feuer rein! Da geht der Misserfolg schließlich schon los, wenn nur larifari ohne Körpereinsatz über den Platz getrabt wird. Schluss mit Büllerbü. Auch im Training kann man mal ordentlich dazwischenfunken und den Teamkollegen spüren lassen, dass kein Spieler gesetzt ist und jeder sich wöchentlich aufs Neue beim Coach beweisen muss. Im Tabellenkeller werden keine Freifahrtsscheine verteilt.
Die Kicker sollten sich ohnehin nicht zu wichtig nehmen, da der Verein viel größer ist als jeder einzelne. Der Star ist die Mannschaft. Man sollte sich allein schon für die Zuschauer, die Woche für Woche bei schlechtestem Wetter am Spielfeldrand frieren, den Allerwertesten aufreißen. Den Fans muss etwas zurückgegeben werden. Da ist ein engagierter Auftritt nichts anderes als eine Charakterfrage.
Steckt man ab der Halbserie noch im Tabellenkeller, wird jede verbleibende Partie als Endspiel angesehen. Der Blick geht nach unten, da braucht sich keiner mehr etwas vormachen oder die Situation schönreden. Jeder im Team muss wissen, worum es geht – oder kann direkt gehen.
Forderung nach „kernigen“ Zweikämpfen
Wie viele dieser Formulierungen Thomas Doll schon durch die 96-Kabine geschmettert hat, wissen wir freilich nicht. Ihm ist es einfach wichtig, „eine gewisse Aufbruchstimmung zu erzeugen – und das nicht mit Parolen, sondern mit Arbeit.“ Er bemängelt, dass der ein oder andere Spieler noch nicht erkannt habe, in welcher Situation der Verein gerade steckt. Die Analyse fällt somit ernüchternd aus: „Die Bereitschaft hat gefehlt, wie ein Kaninchen vor der Schlange! Wir dürfen schon mehr Engagement und Leidenschaft zeigen. Wir sind nur nebenher gelaufen, ich habe kein kerniges (kernig ist übrigens ein großartiges Wort, Anm. d. Verf.) Duell gesehen! Wir liegen mehr am Boden, als dass wir an den Leuten dran sind.“
Bei all dem verständlichen Frust möchten ihm da tausende Amateurtrainer zurufen: „Nach dem Spiel ist vor dem Spiel, Thomas! Mund abputzen, weitermachen!“ Die Messe ist schließlich noch nicht gelesen, abgerechnet wird zum Schluss.
Joel Grandke, Buchautor und aktiver Amateurkicker aus Hamburg, spürt in seiner wöchentlich auf FUSSBALL.DE erscheinenden Kolumne der Faszination Amateurfußball nach. Stets mit einem Augenzwinkern.