Amateur-Alltag |06.10.2018|15:00

Die Kreisliga-Pizarros: Old but gold

40 Jahre jung: Claudio Pizarro geht noch immer in der Bundesliga auf Torejagd.[Foto: Getty Images]

Fußball-Weisheit #70: „Am Ende hatte ich überall Krämpfe.“ (Claudio Pizarro als 35-jähriger Bayern-Stürmer nach einem Doppelpack gegen Hoffenheim)

Da klimpert’s kräftig im Phrasenschwein. Jeder, der die magische Altersgrenze von 30 Jahren überschritten hat, kann diese Leiden nur zu gut mitfühlen. Schnelligkeit, Beweglichkeit und Ausdauer lassen Stück für Stück nach, bis sich eingestanden werden muss, dass die körperlich besten Jahre wohl gezählt sind. Kein Wunder, dass sich Pizarro nach einem Bundesligaspiel etwas „verkrampft“ in die Mixed-Zone schleppt. Dazu sei angemerkt: Während des eingangs erwähnten Zitats war er noch zarte 35 Jahre jung. Am vergangenen Mittwoch hat er nun die 40 geknackt – und geht bekanntermaßen immer noch in der Bundesliga auf Torejagd. Seine Statistik sucht ihresgleichen: 450 Bundesliga-Spiele, 192 Bundesliga-Tore. Damit führt er die Allzeit-Liste der erfolgreichsten ausländischen Buli-Torjäger an.  Joel Grandke schreibt in seiner aktuellen FUSSBALL.DE-Kolumne Amateur-Alltag über die Pizarros der Kreisliga, die Ü40-, Ü50- oder gar Ü60-Spieler.

Als der Peruaner 1999 in der deutschen Elite-Liga debütierte, zahlte man hierzulande noch mit der D-Mark, wurde „Mambo No. 5“ gerade veröffentlicht und das Nokia 3210 als Neuheit auf den Markt gebracht. Seitdem sind viele Trends gekommen und gegangen, nur der torhungrige Pizarro wühlt sich immer noch auf höchstem Niveau durch die Strafräume.

1999 kam außerdem sein erster Sohn zur Welt, der mittlerweile volljährig ist und zumindest alterstechnisch mit seinem Vater auf dem Feld stehen könnte. Nachdem wir uns letzte Woche bereits mit der Vater-Sohn-Konstellation zwischen Trainer und Spieler beschäftigt haben, wäre das gemeinsame Vater-Sohn-Kicken in der Bundesliga tatsächlich ein Novum. Auf Amateurniveau lassen sich in jeder Region Vereine finden, in denen Vater und Sohn schon Seite an Seite gespielt haben. Hier kann es sogar einen Schritt weitergehen, wenn der Ü60-Keeper mal wieder in der ersten Herrenmannschaft aushilft. In besonderen Fällen kann so ein Spiel dann sogar Enkel und Großvater zusammenbringen.

„Gehört dein Pfleger denn auch mit zur Startelf?“

Respekt vor den „Stammesältesten“

Unabhängig von familiären Geschichten gibt es in der Republik unzählige „Gentlemen“, die schon längst im Pizarro-Plus-Alter sind, aber immer noch im Herrenbereich einspringen, wenn Not am Mann ist. Die „Stammesältesten“ genießen hier eine große Wertschätzung, schließlich haben sie schon über Jahrzehnte die Knochen für ihre Vereinsfarben hingehalten. Solch ein Status muss sich erstmal erarbeitet werden. Wer sich einen flotten Spruch à la „Gehört dein Pfleger denn auch mit zur Startelf?“ erlaubt, sollte in der Kabine mit gehörigem Gegenwind rechnen. Kreisliga-Trainer wissen um die Bedeutung ihrer Routiniers, die in hitzigen Phasen einen klaren Kopf behalten. Jede erdenkliche Spielsituation wurde schließlich schon etliche Male erlebt. Die alten Hasen haben angenehmerweise keine Ambitionen mehr, die Zuschauer am Spielfeldrand mit irgendwelchen (ohnehin misslingenden) Kabinettstückchen zu beeindrucken. Sie lassen es lieber ruhiger angehen, oftmals bleibt ihnen aufgrund des verlorenen Tempos aber auch nicht viel anderes übrig.

Eine besondere Zunft unter den Ü40-Kicker bilden die ehemaligen Topspieler der Region, die sich noch an jedem Wochenende ihre Bolzer schnüren, aber mittlerweile mehr von alten Geschichten als von ihren Taten auf dem Platz leben. Vor ein bis zwei Jahrzehnten kickten sie mal in der Regionalliga, wie sie immer wieder ungefragt berichten. In dieser Zeit hätten sie sogar mehrere Profivereine beobachten lassen, behaupten sie. Ihre gute Veranlagung blitzt manchmal noch auf, beispielsweise bei messerscharf getretenen Freistößen. Dennoch: Eine Laufleistung von unter einem Kilometer ist – auf 90 Minuten gerechnet – kaum von den Mitspielern auszugleichen. Aufgrund unzähliger Kreuzbandrisse sind sie mittlerweile mit Bandagen an beiden Knien ausgestattet. Die Zweikämpfe tragen sie daher längst nicht mehr mit der Intensität vergangener Tage aus. Verschiedene Ärzte rieten ihnen unabhängig voneinander, mit Blick auf die Gesundheit den aktiven Spielbetrieb einzustellen. Doch ohne den Fußball geht es irgendwie nicht. Und die Freistöße sind ja immer noch hervorragend...

Wenn „Opa“ dich in Grund und Boden läuft

Auf der anderen Seite lassen sich auch jung gebliebene Kicker im Altherrenalter finden. Sie rennen mit Mitte 40 immer noch den meisten Nachwuchsspielern davon und machen den Eindruck, als würden sie die Gesetze des Alterns völlig außer Kraft setzen. Jüngeren Gegenspielern bleiben die frechen Anspielungen auf ihren Widersacher („Na, Opa – den Gehstock heute im Heim gelassen?“) spätestens dann im Halse stecken, wenn sie diesem ab der 60 Minute nur noch kraftlos hinterherhecheln. Da stellt sich die Frage neu, wer nach dem Spiel mit Krämpfen vom Platz humpelt. Der Schlüssel zu dieser beeindruckenden Fitness im hohen Alter ist zumeist eine Mischung aus einem gesunden Lebensstil und der Disziplin, sich neben Job und Familie noch mehrmals die Woche zum Joggen zu motivieren. Ohnehin sollen die außergewöhnlichen Fähigkeiten von „Fußball-Gott“ Pizarro keinesfalls kleingeredet werden, wenn wir über die teils noch älteren Amateur-Oldies sprechen. In einem Kreisliga-Team sind sie oftmals noch eine große Stütze, aber würden wir sie mal eine halbe Stunde in der Bundesliga auf die Platte schicken, wären einsetzende Krämpfe wohl noch ihr kleinstes Problem. Das ist nicht im Geringsten verwerflich und würde vielen Teamkollegen im besten Fußballer-Alter nicht anders gehen. Wir ziehen an dieser Stelle einfach den Hut vor denjenigen aus der Ü40-, Ü50- oder Ü60-Generation, die keinen Zweikämpfen mit Gegenspielern scheuen, die ihre Kinder oder gar Enkel sein könnten. Es gibt eben Dinge, die sich noch länger halten als ein Ohrwurm von Lou Bega. Dafür werfe ich dann auch gern noch ein paar D-Mark ins Phrasenschwein.


Joel Grandke, Buchautor und aktiver Amateurkicker aus Hamburg, spürt in seiner wöchentlich auf FUSSBALL.DE erscheinenden Kolumne der Faszination Amateurfußball nach. Stets mit einem Augenzwinkern.