Auf den Sportplätzen der Stadt wird in letzter Zeit vermehrt über Aggressivität und körperliche Auseinandersetzungen geklagt. Vor allem die Schiedsrichter sehen sich oft massiven Anfeindungen ausgesetzt. Bodo Brandt-Chollé spricht im BFV-Interview über die aktuelle Lage.
Wie beurteilen Sie die derzeitige Situation auf den Berliner Fußballplätzen?
Bodo Brandt-Chollé: Die Situation hat sich mit Beginn dieser Saison deutlich verschlechtert. Wir haben momentan kaum ein Wochenende, an dem es nicht zu einem Vorfall kommt, der mit Schiedsrichtern zu tun hat.
Ist momentan es also akuter als in den vergangenen Jahren?
Brandt-Chollé: Es gibt immer Phasen, in denen verstärkt aggressive Stimmung auftritt. Das war auch in den vergangenen Jahren so. Aber jeder Zwischenfall ist einer zu viel, deshalb muss man das immer ernst nehmen. Vor einigen Jahren hatten wir zum Beispiel eine drastische Situation. Durch die Solidarität zwischen Sportgericht, Präsidium und Vereinen haben wir das in den Griff bekommen.Diese Solidarität ist mittlerweile leider etwas abhandengekommen.
Wie ist die Stimmung bei den Schiedsrichtern?
Brandt-Chollé: Zunächst einmal muss man sich vor Augen führen, dass das Amt des Schiedsrichters ein Hobby ist und nichts anderes. Ein Hobby soll Spaß machen. Wenn Schiedsrichter zu Vereinen oder Mannschaften kommen, bei denen sie befürchten müssen, dort nicht unbeschadet wieder raus zu kommen, dann macht das ganz sicher keinen Spaß. Diese Angst kann einfach nicht die Basis sein, sein Hobby auszuüben. Wie soll ein Schiedsrichter noch objektive Entscheidungen treffen, wenn er massiv bedroht wird? Dementsprechend ist die Stimmung natürlich nicht besonders gut.
Fehlt den Schiedsrichtern in brenzligen Situationen die nötige Rückendeckung?
Brandt-Chollé: Natürlich und zwar ganz massiv. Es fehlt an Rückendeckung von Seiten der Trainer, Betreuer, Vereinsverantwortlichen und natürlich der Mannschaften. Die Schiedsrichter werden ganz einfach schlecht behandelt, auch außerhalb des Platzes: Wir mussten schon die Anschriften der Schiedsrichter aus unseren Broschüren entfernen, weil es Bedrohungen gab. Erschreckend ist auch zu sehen, wie Schiedsrichter in Internetforen behandelt werden.
Was raten Sie Schiedsrichtern, um Gewalt zu vermeiden?
Brandt-Chollé: Die Schiedsrichter werden dementsprechend geschult und lernen, schon im Vorfeld die Öffentlichkeit zu suchen, auch Absprachen mit den Mannschaftsführern können nützlich sein. Außerdem haben wir ausdrücklich gesagt, dass nicht jedes Spiel bis zum Äußersten geführt werden muss, bis es erst tatsächlich zur Attacke kommt. Leider erinnern sich viele nicht mehr daran, dass Fußball ein Spiel ist. Natürlich machen Schiedsrichter Fehler, aber das kann nicht die Rechtfertigung sein, sich bespucken, beleidigen und im schlimmsten Fall sogar schlagen zu lassen.
Wie geht man mit Schiedsrichtern um, die solche Erfahrungen machen mussten?
Brandt-Chollé: Die ersten Ansprechpartner sind die Lehrgemeinschaften und der Schiedsrichterausschuss. Aber gerade im Jugendbereich ist das natürlich teilweise problematisch. Wenn die jungen Schiedsrichter mit einem blauen Auge nach Hause kommen, kann ich die Eltern verstehen, die nicht wollen, dass ihre Kinder am nächsten Wochenende wieder auf dem Platz stehen.
Wie sehen die nächsten Schritte aus und welche Konsequenzen hat ein Fehlverhalten für die Mannschaften?
Brandt-Chollé: Zunächst einmal verfolgen wir ein System mit Bewährung und Bestrafung. Ich denke, das ist grundsätzlich auch der richtige Weg. Wenn aber bei der Auswertung bestimmte Mannschaften und Vereine besonders oft auftauchen, muss durchgegriffen werden. Ein drastisches Mittel ist es, den entsprechenden Mannschaften keine Schiedsrichter mehr zuzuteilen. Im schlimmsten Fall erfolgt ein Ausschluss aus dem Spielbetrieb. Natürlich ist das das letzte Mittel, aber im Notfall muss man einen Rauswurf vornehmen, um mit aller Härte ein Zeichen zu setzen. Als nächstes werden die Mannschaften, die in den letzten Wochen für die Spielabbrüche verantwortlich waren, beim Präsidium geladen. Das hat in der Vergangenheit bereits bei einigen Vereinen zum Umdenken geführt. Wenn auch das nichts bringt, werden die entsprechenden Konsequenzen gezogen. Das große Problem ist, dass wir den Respekt vor den Schiedsrichtern verloren haben.
Glauben Sie, die Situation wird sich wieder beruhigen?
Brandt-Chollé: Wir dürfen natürlich nicht anfangen, das Ganze zu dramatisieren. Natürlich sind die Zwischenfälle bei rund 3000 Partien, die jedes Wochenende in Berlin gespielt werden, noch im Promillebereich anzusiedeln, aber wie gesagt: Jeder Vorfall ist einer zu viel. Wer denkt, wir würden nicht handeln und uns das Ganze in Ruhe ansehen, der liegt falsch. Vereine und Mannschaften müssen sich vor Augen führen, dass sich jemand nur für Sie am Wochenende auf den Platz stellt und einfach nur sein Hobby ausüben will, genau wie die Spieler auch. Es kann nicht sein, dass die Schiedsrichter dafür Gewalt zu befürchten haben.