Wenn sich eine Themenwoche um Trainerausbildung dreht, ist es natürlich Pflicht, mit dem DFB-Chefausbilder zu sprechen. 1982/1983 hat Frank Wormuth mit Joachim Löw beim SC Freiburg in der 2. Bundesliga zusammengespielt, 98/99 war er Assistent des späteren Weltmeistertrainers bei Fenerbahce Istanbul. Später arbeitete Wormuth als Chefcoach beim SC Pfullendorf, SSV Reutlingen, bei Union Berlin und dem VfR Aalen. Seit 2008 leitet er die Hennes-Weisweiler-Akademie und den dortigen Fußball-Lehrer-Lehrgang.
Wer in die Bundesliga möchte, muss unter ihm die Schulbank drücken. Außerdem ist der für seine fundierten Analysen bekannte 54-Jährige als Coach für die U20-Nationalmannschaft zuständig, mit der er in wenigen Monaten zur WM nach Neuseeland fährt (30. Mai bis 20. Juni). Im Interview mit FUSSBALL.DE spricht Wormuth darüber, wie sich die Trainerausbildung in den vergangenen Jahren verändert hat, wohin sie sich entwickelt, über die Wichtigkeit von Qualifizierung im Amateurbereich, über optimiertes Lernen und darüber, was Amateurtrainer mit den Profikollegen verbindet.
FUSSBALL.DE: Herr Wormuth, warum ist es auch für einen Trainer in der Kreisliga wichtig, sich weiterzubilden und Lizenzen zu erwerben?
Frank Wormuth: Lebenslanges Lernen sollte überall stattfinden, der Fußball macht da keine Ausnahme. Ob man sich im Spitzen- oder im Amateurbereich bewegt, das Spiel ist im Grundsatz das gleiche. Ich habe als Trainer selbst in der Kreisliga A angefangen. Dort habe ich fast das Gleiche gemacht wie in der 2. Bundesliga. Natürlich ist das Niveau ein anderes aufgrund der gravierenden Unterschiede in der technischen Qualität und der körperlichen Verfassung. Taktisch aber gibt es auch in der Verbandsliga oder auf Kreisebene sehr intelligente Spieler, die das Spiel verstehen. Ein Trainer sollte immer bestrebt sein, sich auf dem höchstmöglichen Level zu entwickeln – das gilt auch für die Kollegen im mittleren und unteren Amateurbereich.
"Wir sind zu Beginn des Trainings holländisch geprägt, im Mittelteil deutsch und am Ende spanisch - eine gute Mischung"
Es wird gerne gesagt, dass die besten Trainer eigentlich in den Jugendbereich gehören. Sehen Sie das auch so?
Wormuth: Nein. Die besten Trainer gehören überall hin (lacht). Ich würde sagen: Die besten Pädagogen unter den Trainern gehören in den Jugendbereich. Einen Ex-Profi mit hohen Ambitionen sehe ich beispielsweise eher nicht bei einer Jugendmannschaft, wenn er nicht den pädagogischen Ansatz mitbringt. Empathie - oder einfach ausgedrückt Einfühlungsvermögen – ist im Kinder- und Jugendalter sehr wichtig, das kriege ich bei meinen eigenen Kindern hautnah mit.
Inwiefern?
Wormuth: Ob Schule, ob Sport, die Kids stehen oft schon sehr unter Druck. Der Leistungsfußball beginnt häufig bereits im unteren Bereich, wenn sich der Nachwuchs für das Stützpunkttraining empfehlen will. Zu dieser Entwicklung haben wir als DFB auch beigetragen. Entscheidend bleibt trotzdem immer der Spaß am Spiel. Sonst springen viele ab. Ich denke, eine Menge Talente könnten weiter nach oben kommen, wenn sie anders angepackt würden. Im U12-Bereich ist es gut, auch einfach mal den Ball reinzuwerfen und die Kids nach dem Learning-by-doing-Prinzip spielen zu lassen, damit wir nicht nur geschnitzte Spieler bekommen. Vielleicht müssen wir da an manchen Stellen ein bisschen umdenken.
Ist der Jugendfußball für Trainer attraktiver geworden?
Wormuth: Durch die Nachwuchsleistungszentren auf jeden Fall, weil die Trainer dort hauptamtlich arbeiten können. Das Thema Jugendfußball und Talentförderung erhält aufgrund der Entwicklung der vergangenen Jahre insgesamt mehr öffentliche Aufmerksamkeit. Als Nachwuchstrainer kann man mittlerweile eher auffallen als früher. Wir sehen in der Ausbildung auch, dass die Trainer immer jünger werden. Das Pendel schwingt: Früher haben im Profibereich die Ex-Profis das Bild an der Seitenlinie vermehrt geprägt. Jetzt sieht man unbekanntere Trainer, die weniger eine Spielerkarriere, sondern mehr eine Trainerlaufbahn vorweisen. Das hat Vor- und Nachteile. Der Vorteil ist, dass sie oft ein tiefes Trainerwissen haben, der Nachteil, dass zum Teil gewisse praktische Erfahrungen als Spieler fehlen, die ebenfalls wichtig sind.
Wie haben sich Inhalte und Schwerpunkte in der Trainerausbildung in den vergangenen Jahren verändert?
Wormuth: Es hat sich eine Menge verändert. Nehmen wir als Beispiel die Individualisierung. Lange Zeit wurde vor einer großen Gruppe Frontalunterricht praktiziert. Der Ausbilder hat erklärt, die Gruppe hat es aufgenommen. Später wurde der Spieß umgedreht, so dass wir Dozenten zu den Trainern gesagt haben: Ihr erklärt uns, was Fußball ist – und auf dieser Grundlage wird weitergearbeitet. Dieses Vorgehen haben wir mit der Zeit optimiert, indem das Präsentierte stärker gespiegelt wurde. Vor allem wird auch darauf geachtet, wie etwas präsentiert wird und wie sich der Trainer verhält. Nun haben wir den nächsten Schritt in der Ausbildung gemacht. Vereinfacht erklärt: Trainer A erklärt Trainer B das Thema. Trainer B entdeckt inhaltliche Lücken und versucht sie zu schließen. Die Partner spiegeln sich also gegenseitig. Der Ausbilder hat dabei die Funktion eines Moderators und füllt die letzten verbliebenen Wissenslücken. So sorgen wir für noch mehr Individualisierung. Das Motto ist: Wer lehrt, der lernt. Aktuell diskutieren wir über ein Mentoren-Modell für Trainer, um sie weiter zu begleiten, das Gelernte zu vertiefen und den Rückfall in alte, weniger gute Automatismen zu verhindern.
Sie haben gerade in erster Linie über die veränderte Vermittlung der Inhalte gesprochen. Was ist mit den Inhalten selbst?
Wormuth: Optimieren wir auch ständig. Auch hier ein Beispiel: Zehn Jahre lang haben wir sehr stark an der Viererkette und der Raumdeckung gearbeitet. Jetzt lehren wir vermehrt Angriffsarbeit. Wir wollen neben der Förderung der Individualität der Spieler auch feste Spielzüge kreieren und diese den Spielern an die Hand geben, um Lösungen auf das verbesserte Abwehrverhalten zu finden. Allgemein gibt es je nach Lizenzstufe klare Schwerpunkte. Die A-Lizenz dreht sich um Mannschaftstaktik, bei der DFB-Elite-Jugend-Lizenz liegt der Fokus auf Gruppen- und Individualtaktik. Die Trainer-B-Lizenz zu Beginn ist der kleine Fußball-Lehrer, dort wird der gesamte Fußball abgebildet, wenn auch natürlich recht oberflächlich.
Sie haben im Fußball-Lehrer-Lehrgang auch jedes Jahr Trainer, die Ihre Wurzeln im Amateurfußball haben. Stellen Sie da besondere Auffälligkeiten bzw. Unterschiede gegenüber den Kollegen aus dem Profibereich fest?
Wormuth: Nein. Pauschal ist da nichts festzustellen. Wir hatten zum Beispiel schon ehemalige Bundesligaspieler, die sind bei uns vor der Kamera total eingegangen und haben anschließend gesagt: ‚Wir haben früher vor der Kamera nur geantwortet, aber wir haben noch nie eine Präsentation gehalten.‘ Dafür kommt dann vielleicht ein Student aus dem Amateurbereich und liefert eine perfekt aufgebaute und sicher vorgetragene Präsentation ab. Was regelmäßig passiert, ist Folgendes: Der Profi- sagt dem Amateurtrainer: ‚Deine Ideen hören sich super an, aber im Profibereich kannst Du das vergessen.‘ Und der Amateurtrainer sagt dem Profi bei einem anderen Thema: ‚Schön und gut, wie Du Dir das vorstellst, aber im Amateurfußball würde das niemals funktionieren.‘ Darum wollen wir auch heterogene Gruppen, da lernt man sehr viel voneinander.
In welche Richtung entwickelt sich die Trainerausbildung in den kommenden Jahren?
Wormuth: Noch stärker hin zur Individualisierung. Ich möchte gerne irgendwann zwei bis drei hauptamtliche Dozenten pro Stammfach haben, dann könnten wir noch ganzheitlicher ausbilden. Das Ziel wäre, die Bereiche Fußball-Lehre, Trainingswissenschaft und Sportpsychologie immer gemeinsam zu behandeln und nicht - wie bisher - eher getrennt voneinander. Das sind die nächsten wichtigen Schritte: Individualisierung in der Ganzheitlichkeit. Für das Training selbst halte ich weiterhin die aktuell praktizierte ESA-Methode für sinnvoll.
Die besagt?
Wormuth: ESA bezeichnet den Aufbau des Trainings und steht für: Einführen, schulen, anwenden. Einführen heißt, dass die technisch-taktischen Voraussetzungen des Schwerpunktes ohne Gegner trainiert werden. Danach kommt das Schulen mit Gegner, also: spielen, eingreifen, spielen, eingreifen. Und Anwenden bedeutet, das Spiel laufen zu lassen und das Eingreifen stark reduzieren. Wir sind also zu Beginn des Trainings holländisch geprägt, im Mittelteil deutsch und am Ende spanisch. Eine gute Mischung.
Autor/-in: Jochen Breideband