Von einer solchen Karriere träumt wohl jeder Amateurfußballer: Von den Profiklubs während der gesamten Jugendzeit unentdeckt bleiben, auch im Seniorenbereich lange Zeit unterhalb der drei ersten Ligen Fußball spielen und dann mit 23 Jahren den Sprung in die Bundesliga schaffen. Was sich in Zeiten von Nachwuchsleistungszentren und Junioren-Bundesligen nach einem kaum mehr für möglichen Szenario anhört, könnte für Hendrik Weydandt im Trikot von Hannover 96 Wirklichkeit werden.
Dem Angreifer, der vor Saisonbeginn vom Nord-Regionalligisten 1. FC Germania Egestorf-Langreder eigentlich zur zweiten Mannschaft der Niedersachsen gewechselt war, gelangen in der ersten Runde des DFB-Pokals im Spiel beim Drittligisten Karlsruher SC (6:0) bei einem Acht-Minuten-Einsatz nach seiner Einwechslung zwei Treffer. Schon während der Vorbereitung hatte Weydandt, der vor etwas mehr als vier Jahren noch in der Kreisliga (!) auf Torejagd ging, mit zahlreichen Treffern auf sich aufmerksam gemacht und 96-Cheftrainer André Breitenreiter von seinen Qualitäten überzeugt.
Nun könnte Weydandt, dem Hannovers Vereinsboss Martin Kind bereits einen Lizenzspielervertrag in Aussicht stellte, am Samstag (ab 15.30 Uhr) im Auftaktspiel beim SV Werder Bremen sein Bundesligadebüt geben. Eine steile Karriere, die an den DFB-Rekordtorschützen und Weltmeister Miroslav Klose erinnert. Der kickte mit 20 Jahren noch bei der SG Blaubach-Diedelkopf in der Bezirksliga, ehe er über die Station beim FC Homburg (erst zweite, dann erste Mannschaft) zwei Jahre später beim 1. FC Kaiserslautern seine außergewöhnliche und herausragende Karriere startete.
Als U 19-Spieler in das Kreisligateam hochgezogen
"Anfangs wirkte er mit seiner Statur ein wenig hölzern. Wir haben aber auch sofort gemerkt: Hendrik hat ganz besondere Anlagen"
Mit dem Fußballspielen begonnen hatte Weydandt im Alter von fünf Jahren in Barsinghausen, rund 20 Kilometer westlich von Hannover, bei der JSG Groß Munzel/Landringhausen, einer Jugendspielgemeinschaft der benachbarten Vereine TSV Groß Munzel (aktuell 2. Kreisklasse) und Sportfreunde Landringhausen, deren Fußballsparte sich inzwischen allerdings nahezu aufgelöst hat und im TSV Groß Munzel aufgegangen ist.
Klaus Cramer (57), seit vielen Jahren Fußball-Spartenleiter in Groß Munzel, erinnert sich im Gespräch mit FUSSBALL.DE : „Hendrik hat eigentlich immer schon seine Tore gemacht und gezeigt, dass einiges in ihm steckt. Vor allem als A-Jugendlicher war er schon so gut, dass er vorzeitig in die erste Mannschaft hochgezogen wurde.“
Für den TSV Groß Munzel, der in der Saison 2013/2014 noch in der Kreisliga vertreten war, stellte der 1,95 Meter-Hüne Weydandt dann auch gleich in der ersten Spielzeit seinen außergewöhnlichen Torriecher unter Beweis. Mit 23 Treffern wurde er auf Anhieb Torschützenkönig. Eine Auszeichnung, die klassenhöhere Vereine aufmerksam werden ließ.
Germania-Trainer Zimmermann: „Anfangs etwas hölzern“
Einer davon war der damalige Niedersachsen-Oberligist 1. FC Germania Egestorf-Langreder, ebenfalls in Barsinghausen beheimatet. „Als Verein aus einem benachbarten Stadtteil hatten wir ‚Henne‘ selbstverständlich auf dem Zettel und haben ihn 2014 zum Training eingeladen“, so Germania-Trainer Jan Zimmermann im Gespräch mit FUSSBALL.DE . „Anfangs wirkte er mit seiner Statur ein wenig hölzern. Wir haben aber auch sofort gemerkt: Hendrik hat ganz besondere Anlagen.“
Die zeigte der damals 19-Jährige in seiner ersten Oberliga-Spielzeit zunächst hauptsächlich als Einwechselspieler. „Der Schritt von der Kreisliga in die 5. Liga war nicht zu verachten“, sagt Zimmermann. „Hendrik ist aber ein zielstrebiger Mensch, ist drangeblieben, hat ein paar Kilo abgenommen und sich in allen Bereichen ständig weiterentwickelt. Dabei hat er aber nie den Spaß am Fußball verloren und ist immer gut gelaunt zum Training gekommen.“
Aufstiegsheld und plötzlich Torjäger in der 4. Liga
Schon nach seiner zweiten Oberliga-Saison ging es für Hendrik Weydandt eine weitere Etage höher. Mit 13 Treffern in 25 Ligaspielen und zwei weiteren Toren beim 2:2 in der Aufstiegsrunde gegen den SV Eichede hatte er großen Anteil am ersten Regionalliga-Aufstieg des 1. FC Germania Egestorf-Langreder und damit auch am größten Erfolg in der Vereinsgeschichte.
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In der vierthöchsten Spielklasse nahm die Karriere dann richtig Fahrt auf. Im ersten Jahr waren dem Mittelstürmer zwölf Tore in 25 Spielen gelungen. Diese Marke toppte er in der vergangenen Saison mit 15 Treffern. Das blieb nicht unbemerkt. „Hendrik hatte daher viele Möglichkeiten zu wechseln. Wegen der Nähe zu seiner Heimat, seiner Familie und Freunden hat er sich für die zweite Mannschaft von Hannover 96 entschieden“, so Zimmermann über den Angreifer.
Trainingslager mit 96 statt Fußballcamp in Groß Munzel
Während der Sommervorbereitung auf die aktuelle Saison durfte Weydandt dann jedoch im Training der Profimannschaft erstmals ein wenig Bundesligaluft „schnuppern“. Cheftrainer Breitenreiter, früher selbst ein erfolgreicher Angreifer, schaute genau hin und nahm den 23-jährigen Newcomer überraschend mit ins Trainingslager nach Velden.
Deshalb fiel auch ein geplanter Besuch bei seinem Heimatverein in Groß Munzel aus, der in Kooperation mit Hannover 96 in den Sommerferien ein Fußballcamp für junge Talente aus der Region veranstaltete. „Hendrik wollte eigentlich zwei oder drei Tage vorbeikommen, aber das Trainingslager ging natürlich vor“, sagt TSV-Spartenleiter Klaus Cramer: „Bei der nächsten Gelegenheit wird er das aber bestimmt nachholen. Wir freuen uns alle mit ihm.“
Berufliches Standbein als künftiger Steuerberater
Sein bisheriger Trainer Jan Zimmermann traut Hendrik Weydandt eine Profikarriere auf jeden Fall zu. „Hendrik ist schon ein sehr kompletter Stürmer. Er ist kopfballstark, hat sowohl mit dem linken als auch mit dem rechten Fuß einen guten Abschluss. Und er ist auch noch schnell, was man ihm bei seiner Körpergröße nicht unbedingt zutraut“, beschreibt Zimmermann die Stärken seines ehemaligen Torjägers, der einen Studienabschluss in BWL vorweisen kann und später einmal die Steuerberater-Kanzlei seines Vaters übernehmen soll.
Nach dem beeindruckenden Auftritt von Weydandt im DFB-Pokal drücken seine drei ehemaligen Vereine aus Groß Munzel, Landringhausen und Egestorf-Langreder die Daumen, dass der Stürmer schon bald auch in der Bundesliga zum Einsatz kommt. „Bei seiner aktuellen Form rechne ich sogar fest damit“, sagt Jan Zimmermann.
Fast 60.000 Euro für Groß Munzel und Landringhausen?
Für die Amateurklubs könnte sich das auch wirtschaftlich lohnen. Da Hendrik Weydandt erst in diesem Spieljahr (am 16. Juli) seinen 23. Geburtstag gefeiert hat, wird laut der DFB- und DFL-Statuten eine Ausbildungsentschädigung fällig, wenn Weydandt in dieser Saison einen Profivertrag unterschreibt und mindestens einmal in der Bundesliga spielen darf.
Für die Zeit vom 6. bis zum 11. Lebensjahr würden die an der Ausbildung beteiligten Klubs dann pro Saison 4200 Euro, vom zwölften bis zum 23. Lebensjahr jeweils 5400 Euro erhalten. Der 1. FC Germania Egestorf-Langreder, für den Weydandt vier Jahre am Ball war, dürfte sich in diesem Fall über 21.600 Euro freuen, der TSV Groß Munzel und die Sportfreunde Landringhausen zusammen über fast 60.000 Euro.
„Das wäre für uns selbstverständlich ein warmer Regen“, sagt TSV-Spartenleiter Cramer, der hauptberuflich als Monteur tätig ist - und verspricht: „Wir würden das Geld mit Sicherheit sinnvoll einsetzen, vor allem für unsere Jugend.“
Um eventuell beim Bundesligadebüt von Hendrik Weydandt sogar live dabei sein zu können, haben sich Cramer und einige Vorstandskollegen bereits Tickets für das erste Heimspiel von Hannover 96 gegen Borussia Dortmund am Freitag, 31. August (ab 20.30 Uhr), gesichert. „Dann werden wir gespannt mit einem eigens angefertigten Plakat in der Arena auf der Tribüne sitzen“, verrät Klaus Cramer.
Autor/-in: Ralf Debat/Dominik Dittmar/mspw