Respekt sollte allen Beteiligten auf dem Sportplatz entgegengebracht werden - aber wie respektiert fühlen sich eigentlich die Fußball-Schiedsrichter, auch im Vergleich zu anderen Sportarten? Und was motiviert sie dazu, ihr Hobby auszuüben? Um diese und weitere Fragen geht es im aktuellen Sportentwicklungsbericht der Deutschen Sporthochschule in Köln. Prof. Dr. Christoph Breuer gehört zu den Autoren der Studie und stellt im Interview einige der Erkenntnisse vor.
FUSSBALL.DE: Herr Breuer, im aktuellen Sportentwicklungsbericht haben Sie die Schiedsrichter aus 17 Sportarten verglichen. Wo unterscheidet sich der Fußball am deutlichsten von den anderen Sportarten?
Christoph Breuer: Der Fußball unterscheidet sich hinsichtlich mehrerer Aspekte. Zum einen sehen wir regelmäßig in den Studien, dass es der Fußball besser als andere Sportarten schafft, Menschen mit Migrationshintergrund zur Schiedsrichtertätigkeit zu bewegen. Die finanzielle Entschädigung für die Tätigkeit spielt eine größere Rolle als anderswo. Zudem sind die Fußball-Schiedsrichter stärker als in anderen Sportarten negativen Konfrontationen ausgesetzt.
Was zu einer auffällig hohen Unzufriedenheit der Unparteiischen im Fußball führt …
"Es gibt unterschiedliche Gründe, warum Schiedsrichter mit dem entgegengebrachten Respekt von Trainern, Spielern und insbesondere den Zuschauern unzufrieden sind"
Breuer: Es gibt unterschiedliche Gründe, warum Schiedsrichter mit dem entgegengebrachten Respekt von Trainern, Spielern und insbesondere den Zuschauern unzufrieden sind. Zunächst einmal ist Fußball eine Sportart, die sowohl im Jugend- als auch im Amateurbereich in Gegenwart von Zuschauern ausgeübt wird. Das ist bei vielen anderen Sportarten nicht der Fall. Gleichwohl findet man im Fußball schon eine Kultur bzw. Tradition der Schiedsrichterkritik. Den dritten Aspekt beschreibe ich immer als Kehrseite der gesellschaftlichen Kraft des Fußballs. Der Fußball schafft es wie kaum eine andere Sportart, Menschen mit unterschiedlicher sozialer Herkunft zur sportlichen Aktivität zu bewegen. Mit dieser verbindenden Kraft geht jedoch gleichzeitig ein gewisses Konfliktpotenzial einher.
Wie betrachten Sie die Werte bezüglich Beleidigungen oder gar Gewaltvorfällen? Hier sind die absoluten Werte im Fußball zwar gering, dennoch führt der Fußball diese Liste an.
Breuer: Vollkommen richtig. Man muss zunächst festhalten, dass die Werte relativ gering sind und positiv überraschen. Der Eindruck, der über die mediale Berichterstattung vermittelt wird, bestätigt sich in den Zahlen gerade nicht. Die Logik der Massenmedien verzerrt da die Realität, weil jeder Angriff auf Schiedsrichter eine spektakuläre Meldung nach sich zieht. Trotzdem gilt es, den Vergleich mit den anderen Sportarten zu ziehen. Und da steht fest: Beleidigungen und gewalttätige Auseinandersetzungen finden im Fußball einfach häufiger statt.
Die Tätigkeit als Schiedsrichter löst bei den Befragten jedoch nicht nur Frust aus.
Breuer: Ganz im Gegenteil. In erster Linie macht es den Unparteiischen Spaß, aktiv am Fußballgeschehen beteiligt zu sein. Darin finden sie Anerkennung. Der Aspekt, einen wertvollen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten, darf nicht unterschätzt werden. Der Fußball steht im Mittelpunkt, es geht aber auch darum, etwas für die Gemeinschaft zu tun. Die Motive unterscheiden sich von Schiedsrichter zu Schiedsrichter.
Welche Rolle spielen hierbei Alter und Geschlecht?
Breuer: Für junge Unparteiische ist der Aspekt, sich ein paar Euros dazuzuverdienen, besonders interessant. Unterschiede im Hinblick auf das Geschlecht konnten wir in unserem Bericht aber nicht feststellen.
Befindet sich im aktuellen Sportentwicklungsbericht eine Zahl, die Sie überrascht hat?
Breuer: Die Problemfelder der Vereine haben sich durch die Corona-Pandemie verschoben.
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Können Sie das genauer erläutern?
Breuer: Über die vergangenen 15 Jahre haben wir immer eine Zunahme der wahrgenommenen Probleme bei ehrenamtlicher Mitarbeit ausgemacht. Die Corona-Pandemie führte dazu, dass dieses Problemfeld von verstärkten Herausforderungen bei der Gewinnung und Bindung von Mitgliedern abgelöst wurde.
Stichwort Gewinnung und Bindung: Welche Ansätze sehen Sie hier konkret für den Schiedsrichter-Bereich?
Breuer: Interessant könnte sein, Kooperationen mit Schulen anzugehen und hier nicht nur auf Sportangebote im offenen Ganztag oder Sportleistungskurse zu setzen. Vielversprechend hielte ich auch eine Zusammenarbeit mit Fächern wie Sozialkunde, Politik oder Ethik. Hier könnte man auf Schnupperangebote für Schiedsrichtertätigkeiten hinarbeiten. Eventuell kann es aber auch einen finanziellen Lösungsbeitrag geben. Wir wissen aus Studien mit Übungsleitern und Trainern im deutschen Sport, dass mit der Erhöhung der Aufwandsentschädigung die Bereitschaft einhergeht, bis zu 20 Prozent mehr Stunden die Tätigkeit auszuführen. Auf diese Weise könnte die gleiche Anzahl an Schiedsrichtern freiwillig mehr Spiele pfeifen.
Welche Möglichkeiten sehen Sie darüber hinaus, Schiedsrichter langfristig an ihr Hobby zu binden?
Breuer: Wir haben dies im Rahmen des Sportentwicklungsberichts explizit untersucht. Daran waren immerhin 4541 Fußball-Schiedsrichter beteiligt. Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass Unparteiische, die Respekt von Spielern, Offiziellen und auch von den Zuschauern erhalten, signifikant häufiger bereit sind, ihr Amt fortzuführen. Insofern gilt es, diesen Gruppen stets deutlich zu machen, dass ihr Verhalten auch darüber entscheidet, ob wir auch in Zukunft noch genügend Referees haben und den Spielbetrieb gewährleisten können. Auch eine zweite Studie von uns hat gezeigt, dass Wertschätzung die wichtigste Einflussgröße der Arbeitszufriedenheit von Fußball-Schiedsrichtern in Deutschland darstellt.
Wie können die Fußballverbände ihre Unparteiischen unterstützen?
Breuer: Die wahrgenommene organisatorische Unterstützung durch Verein und Verband beeinflusst die Absicht der Schiedsrichter, ihre Tätigkeit fortzusetzen, signifikant positiv. Hier gilt es, eine Struktur zu schaffen, die die Unparteiischen entlastet, die ihnen - soweit möglich - administrative Aufgaben abnimmt, sodass sich die Zeitkosten der Schiedsrichter möglichst auf das ausgeübte Amt beschränken. Unsere Studien zeigen ferner, dass es wichtig ist, dass Schiedsrichter sich untereinander vernetzen und austauschen können. Hier entsprechende, auch nicht digitale Plattformen bereitzustellen, ist eine wichtige Zukunftsaufgabe für die Verbände.
Mal fernab vom Fußball: Wie bewerten Sie ganz allgemein die Situation im Schiedsrichter-Bereich im Sport?
Breuer: Wir wissen natürlich, dass das Schiedsrichteramt ein ganz zentrales ist. Ohne Schiedsrichter könnten keine Wettkämpfe stattfinden. Andererseits ist die Bereitschaft, ein Ehrenamt im Sport auszuüben, begrenzt und hat zudem in den letzten Jahren immer weiter abgenommen. Wenn man sich dann aber die Tätigkeitsfelder der Ehrenamtlichen anschaut, liegt die Problematik bei der Übernahme von Vorstandsämtern beispielsweise noch viel höher als bei der Neugewinnung von Schiedsrichtern. Ich sehe den Fußball da mit seinem System auf einem guten Weg.
Was stimmt Sie optimistisch?
Breuer: Auch wenn es im Einzelfall nach wie vor schwierig ist, genügend Schiedsrichter zu finden, sind die Ansätze doch ganz gut gewählt. Mit den finanziellen Anreizen für die Schiedsrichter einerseits und den Bestrafungen für die Klubs andererseits hat man zwei gute Instrumente. Es macht Mut, dass es nach wie vor gelingt, junge Schiedsrichter auszubilden.