Es gibt Wochenenden, an denen Dominik van Kann für zwei Mannschaften im Einsatz ist. Samstags streift er sich dann ein Torwarttrikot über und pariert Bälle. Sonntags drauf ist der 29-Jährige als Feldspieler gefragt. Dann greift er mit der Rückennummer 7 das gegnerische Tor an.
Van Kann ist fußballverrückt. Und sein großes Hobby betreibt er auch in der Amputierten-Mannschaft von Fortuna Düsseldorf . Van Kann hat durch einen Arbeitsunfall seinen linken Arm verloren. Seinen Mitspielern im Feld fehlen die Unter- oder Oberschenkel, teilweise ist bei ihnen auch ein Bein verkürzt. Sie bewegen sich auf Krücken fort und spielen den Ball mit dem gesunden Bein. Hinter ihnen steht Dominik van Kann und versucht die Schüsse des Gegners abzuwehren.
Ein zweites Team hat er in seiner Heimat. Van Kann stammt aus dem rheinland-pfälzischen Teil der Eifel. Er spielt für die zweite Mannschaft der SG Weinsheim/Schwirzheim/Olzheim in der Kreisliga C . Bei der Spielgemeinschaft begann auch seine Laufbahn. Van Kann war ein talentierter Torwart, er schaffte es sogar in die Rheinland-Auswahl.
Nach Unfall im künstlichen Koma
"Es war immer ein Kindheitstraum, für mein Land zu spielen, und den habe ich mir erfüllt"
Im August 2009 arbeitete der damals 17-Jährige an einem Sonntagabend bei dem elterlichen landwirtschaftlichen Betrieb. Dabei kam es zu einem Unfall. Van Kann geriet in eine Heumaschine, kam darauf ins Krankenhaus. Die Ärzte versetzten den Schwerverletzten in ein künstliches Koma und amputierten ihm den linken Arm. "Als ich aufgewacht bin, fühlte es sich wie in einem schlechten Traum an", sagt van Kann im Gespräch mit FUSSBALL.DE . Er musste akzeptieren, mit einem Handicap zu leben. "Daran hatte ich selbstverständlich zu knabbern", sagt van Kann.
Sport half ihm, mit der Situation fertig zu werden. Während seiner Reha in Koblenz zog es ihn in die Turnhalle. Er nahm sich dort einen Fußball und lupfte diesen in einen Basketballkorb. Die Treffer gaben ihm Mut. Ein halbes Jahr nach seinem Unfall ging er wieder zum Training seiner A-Jugend. Kurz darauf kam van Kann als Feldspieler zum Einsatz. "Ich musste lernen, wie ich mich mit einem Arm auf dem Platz bewegen kann", sagt der Amateurfußballer. "Aber das hat immer besser geklappt."
2011 ging es hoch zu den Senioren. Auf den Plätzen musste sich der Armamputierte aufgrund seines Handicaps auch fiese Sprüche einiger Gegenspieler anhören. "Das hat sich Gott sei Dank gelegt", sagt van Kann. Er hat sich auf den Kreisliga-Sportplätzen auf eine positive andere Art einen Namen gemacht. Seine Amputation ist kaum noch ein Thema, die Gegenspieler haben dafür Respekt vor seiner Kopfballstärke und seiner Schnelligkeit.
Van Kann war jedoch traurig, dass eine Rückkehr ins Tor praktisch ausgeschlossen war. Paraden wie die seines großes Idols Oliver Kahn waren mit dem Handicap nicht mehr möglich. Doch 2016 sah van Kann bei Sky eine Dokumentation über Amputierten-Fußball. Darin kam Christian Heintz zu Wort. Van Kann erkannte sofort Parallelen. Heintz war ebenfalls ein talentierter Fußballer. Nach einem Autounfall musste er sich sein rechtes Bein amputieren lassen. Heintz kämpfte sich zurück auf den Platz. Als Amputierten-Fußballer warb er später für die Sportart.
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2017: Debüt im Nationalteam
Dominik van Kann nahm Kontakt zu Christian Heintz auf und gehörte bald zu einer Amputierten-Mannschaft. Er trug das Trikot der Mannschaft Anpfiff Hoffenheim . "Zu den Spielen und zum Training habe ich mehr als drei Stunden Anfahrt in Kauf genommen, aber das war es mir wert", sagt van Kann.
Er durfte wieder im Tor stehen - ab 2017 sogar in der deutschen Amputierten-Nationalmannschaft. Van Kann reiste zur Europameisterschaft in die Türkei. Auch wenn es eine 0:7-Niederage gegen den Gastgeber und späteren Europameister gab, schwärmt er heute noch von diesem Erlebnis. "Es war immer ein Kindheitstraum, für mein Land zu spielen, und den habe ich mir erfüllt", sagt der gelernte Molkereifachmann, der jetzt als "Spezialist - SAP-Anwender" arbeitet.
Die hohe Niederlage zeigte ihm aber auch, dass hierzulande noch viel Aufbauarbeit im Amputierten-Fußball nötig war. Van Kann machte sich für die Sportart stark und wurde 2019 Teil der neugegründeten Düsseldorfer Amputierten-Fußballmannschaft.
Fernziel ist die EM 2024
Mit seinem neuen Team wollte er sich in diesem Jahr den Meistertitel holen. Doch seine alten Kollegen aus Hoffenheim waren zu stark. "Dann sind wir halt in der nächsten Saison an der Reihe", sagt der selbstbewusste Torwart. Mit seiner Kreisliga-Mannschaft gibt er bescheidenerer Ziele aus. "Ein Aufstieg ist für uns noch kein Thema", sagt van Kann. "Wir wollen aber die Topteams ärgern."
Für die Amputierten-Nationalmannschaft möchte er weitere Einsätze bestreiten. 2022 geht es in der Türkei um die Weltmeisterschaft. Van Kann hofft, dass Deutschland als Nachrücker an den Bosporus reisen kann. 2024 steht dann die nächste Europameisterschaft an. Deutschland ist als Ausrichter im Gespräch. "Das wäre natürlich super, ein großes Turnier im eigenen Land zu spielen", sagt van Kann.
2021 musste er übrigens auf die EM-Teilnahme verzichten. Van Kann hatte damals einen guten Grund für seine Absage. "In den Zeitraum des Turniers fiel meine eigene Hochzeit."