Der Trainer vom Verbandsligisten SC Idar-Oberstein, Andy Baumgartner, hat am vergangenen Wochenende mit einer heldenhaften Aktion für mediales Aufsehen gesorgt. Als einer seiner Spieler nach einem Zweikampf bewusstlos zu Boden ging, reagierte der Bundeswehrsoldat schnell und rettete ihm so das Leben. Im FUSSBALL.DE-Interview spricht er über den Vorfall und weist auf die unzureichende medizinische Versorgung im Amateurfußball hin.
FUSSBALL.DE: Herr Baumgartner, was ist bei dem Spiel an besagtem Wochenende passiert?
Andy Baumgartner: Es gab zu Beginn des Spiels einen Luftzweikampf unseres Spielers Luca Redschlag mit einem gegnerischen Spieler. Dabei sind beide mit den Köpfen zusammengeprallt. Luca ging daraufhin ohnmächtig zu Boden und blieb regungslos liegen. Dann ging alles recht schnell. Ich glaube, ich bin eigentlich schon losgerannt, als Luca gefallen ist. Ich habe seine Augen gesehen und wusste, er ist weg. Was ich noch nicht wusste: dass er seine Zunge verschluckt hatte. Das habe ich dann aber relativ schnell gemerkt. Es kam dann noch ein Spieler zu Hilfe, Achille Ebongue Pidy. Ohne ihn wäre es gar nicht möglich gewesen, Luca zu retten. Er und mein langjähriger Physiotherapeut Martin Steg haben mich unterstützt. Uns ist es gelungen, die Zunge mit einem Schraubstollenschlüssel rauszubekommen. So konnten wir den Spieler retten.
Was glauben Sie, wieso haben Sie so schnell reagiert?
"Die Situation hat gezeigt, wie schlecht unsere medizinische Ausstattung ist"
Baumgartner: Im Nachhinein lässt sich das schwer beschreiben, es war einfach das Gefühl, dass da was Schlimmes passiert ist. Ich habe gesehen, da stimmt was nicht, das ist kein normaler Zusammenprall. Ich habe gar nicht gewartet, bis der Schiedsrichter unterbricht, sondern bin einfach losgerannt.
Ein Schraubstollenschlüssel ist ja normalerweise kein medizinisches Werkzeug. Wie kam es zu dem ungewöhnlichen Einsatz?
Baumgartner: Der Schraubstollenschlüssel war durch Zufall in unserem Sanitätskoffer. Manchmal legen Spieler Dinge da rein, weil sie wissen, die sind dann am Platz. Wir haben einen herzensguten Betreuer, der den Spielern zuliebe vor Wochen diesen Schraubstollenschlüssel in den Koffer getan hat. Als Luca zu Boden ging, ist einer meiner Spieler losgerannt und hat den kompletten Inhalt des Koffers vor mir ausgebreitet. Da lag dann auf einmal der Schlüssel auf dem Platz und er war das Einzige, was geeignet erschien, um eine hebelnde Bewegung zu erzielen. Deswegen haben wir ihn benutzt. Im Endeffekt hat es funktioniert, nichtsdestotrotz hat die Situation gezeigt, wie schlecht unsere medizinische Ausstattung ist. Das ist wahrscheinlich bei viele Amateurvereinen der Fall.
Was nehmen Sie aus dem Vorfall mit?
Baumgartner: Es zeigt, was wir im Amateurfußball für ein großes Risiko eingehen. Das Thema "Fußballspezifische Verletzungen" sowie der Nachweis eines Erste-Hilfe-Kurses sind zwar immer Inhalt in Trainer-Lehrgängen, aber wie viele Trainer sind nicht lizensiert und müssen das nicht vorweisen? Wie viele reichen das einmal ein und sind dann 50 Jahre lang Trainer? Zudem gibt es keine Richtlinien, was alles in den Medizinkoffer gehört und auch keine einheitlichen Empfehlungen dafür. Da gibt es Nachholbedarf.
Wie haben denn Ihre Spieler reagiert?
Baumgartner: Die unmittelbaren Reaktionen kann ich gar nicht beschreiben, die habe ich nicht mitbekommen. Erst als Luca stabil war, bin ich aufgestanden und habe gemerkt, dass 95 Prozent aller Spieler in einer Schockstarre waren und einfach auf den Boden geguckt haben. Sie konnten das Geschehen gar nicht realisieren. Dass Achille Ebongue Pidy so beherzt eingegriffen hat, war Glück. Ich glaube, dass viele Spieler gar nicht in der Lage waren, sich überhaupt zu bewegen. Es ist eine Situation, die im Fußball immer mal wieder vorkommt, aber man ist nicht darauf vorbereitet, wenn es einen selber trifft.
Wie geht es dem betroffenen Spieler jetzt?
Baumgartner: Es geht ihm den Umständen entsprechend gut. Die eigentlichen Verletzungen sind nicht so gravierend. Er hat eine Platzwunde am Kopf, die wurde geklebt, da ist alles gut. Und er hat eine heftige Gehirnerschütterung, um die sich jetzt gekümmert wird. Das wird heilen. Ich hoffe einfach, so schätze ich ihn aber auch ein, dass er im Kopf sagen kann: "Okay, das war heftig, ich habe Glück gehabt und ich freue mich, wenn ich wieder auf dem Platz stehe."
Das hoffen wir auch und wünschen schnelle Genesung. Wie hat der Rest der Mannschaft den Vorfall verarbeitet?
Baumgartner: Die Stimmung hat sich entspannt. Als Luca wach war, hat er eine kurze Nachricht geschrieben, dass es ihm einigermaßen gut geht und er Zeit braucht. Dafür bin ich ihm sehr dankbar, das hat uns geholfen, damit umzugehen. Ich habe die Mannschaft am Dienstag dann nochmal zusammengeholt und wir haben länger geredet. Ich würde sogar sagen, der Zusammenhalt hat sich durch den Vorfall noch mehr gefestigt. Ich glaube, das gemeinsam zu verarbeiten, ist der richtige Weg.