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Was über eine Stunde wie ein klassisches Abstiegskrampf-Duell zweier verunsicherter Mannschaften wirkte, endete in einem wahren Offensivfeuerwerk der BSG Chemie Leipzig.
Mit vier Treffern binnen 22 Minuten nach einem Platzverweis für Viktorias Kapitän Enes Küc (48.) überrollten die Leutzscher den direkten Tabellennachbarn aus Berlin am Ostermontag regelrecht und feierten mit dem 4:0 (0:0) den bislang höchsten Saisonsieg – pünktlich zur vielleicht letzten Phase der Rettung. Der Erfolg vor 4.999 Zuschauern im Alfred-Kunze-Sportpark bedeutet nicht nur drei eminent wichtige Punkte im Abstiegskampf, sondern auch die temporäre Befreiung von den direkten Abstiegsrängen.
Ratifo (64.), Mäder (79.), Kaymaz (83.) und Joker Mauer (86.) sorgten für einen Spielverlauf, der in seiner Wucht wie aus dem Nichts kam. Viktoria hielt bis zur 64. Minute in Unterzahl wacker dagegen, doch die emotionale Implosion nach Kücs Tätlichkeit erwies sich als psychologischer Wendepunkt. Für Chemie-Trainer Adrian Alipour war es der erste Sieg nach Amtsantritt – und ein Befreiungsschlag, der den Glauben an den Klassenerhalt zurückbringen dürfte.
Beide Mannschaften starteten in einer Art taktischem Nebel. Chemie agierte aus einer tief gestaffelten 4-4-2-Grundordnung, suchte Ratifo und Asare früh in der Tiefe, fand jedoch zunächst kein strukturelles Gleichgewicht zwischen Ballbesitz und Tiefe. Bereits in der ersten Minute ließ Ratifo nach Konter eine Hundertprozentige liegen – ein verpasster Auftakt nach Maß, der symptomatisch für die Nervosität in der Anfangsphase stand.
Viktoria, formiert in einem 4-2-3-1, beschränkte sich auf kontrollierten Aufbau und gelegentliche Vorstöße über Küc und Damelang. Allerdings fehlten Tempo, Tiefe und Passschärfe, um das Zentrum der Leipziger ernsthaft zu penetrieren. Auch nach einem kurzen Berliner Zwischenhoch (39. bis 44.) blieb die Partie arm an echten Strafraumszenen. Chemie näherte sich bis zur Pause vor allem über Fernschüsse (Oke, Mäder) und Standards – gefährlich wurde es aber nur selten.
Die entscheidende Szene ereignete sich unmittelbar nach Wiederanpfiff: Enes Küc fühlte sich nach einem robusten Zweikampf mit Kaymaz benachteiligt und schlug seinem Gegenspieler im Affekt ins Gesicht – Referee Johannes Drößler blieb keine Wahl: Rot wegen Tätlichkeit (48.). Der Platzverweis markierte einen Bruch, psychologisch wie strukturell. Während Viktoria in der Folge zunehmend in Passivität verfiel, entfaltete Chemie spürbar mehr Spielwitz und Risikobereitschaft.
Zunächst verhinderten Hiemann-Paraden gegen Mäder und Ratifo noch den Dosenöffner (52.). Auch Kirstein scheiterte aus guter Position (60.). Doch in der 64. Minute war es dann soweit: Marino flankte von rechts präzise auf den zweiten Pfosten, wo Ratifo aus kurzer Distanz einnicken konnte – ein Tor, das Erlösung und Initialzündung zugleich war. Viktorias Widerstandskraft schien gebrochen, Chemie spielte sich fortan in einen emotional aufgeladenen Rausch.
Der zweite Treffer folgte in der 79. Minute: Wieder war es Ratifo, der die gegnerische Innenverteidigung band, diesmal als Ablenkung. Mäder nutzte den Raum im Zentrum und schob nach Querpass aus zehn Metern präzise zum 2:0 ein – eine Kopie jenes Musters, das Alipour nach eigenen Angaben zuletzt intensiv trainieren ließ: Staffelung im Zwischenraum und Überladung über die Halbräume.
Wenig später besiegelte Kaymaz die Partie endgültig, wenn auch mit glücklichem Ausgang: Sein abgefälschter Distanzschuss schlug unhaltbar für Karika im rechten unteren Eck ein (83.). Viktoria wirkte zu diesem Zeitpunkt wie paralysiert, ließ jede Aggressivität im Pressing vermissen. Der eingewechselte Mauer stellte schließlich auf 4:0, nachdem er frei vor dem Tor angespielt worden war (86.).
Für Chemie ist der Befreiungsschlag nicht mehr als ein Etappensieg. Die Mannschaft hat bewiesen, dass sie unter Druck performen kann – doch Konstanz im Schaffen von Chancen und die Kontrolle über das Spieltempo bleiben auch weiterhin Schlüssel zum Verbleib in der Regionalliga Nordost.