Die Situation ist ernst, fast schon aussichtslos. Gerade einmal zwei Pünktchen hat der TSV Ehmen nach 14 Spieltagen auf dem Konto. Der Abstand zum rettenden Ufer beträgt 15 Punkte. Der Abstieg aus der Bezirksliga Braunschweig 1 scheint unausweichlich zu sein. „Wir haben die Aufstiegsmannschaft aus der vergangenen Saison beisammen behalten. Leider sind wir an der Unerfahrenheit gescheitert“, sagt Holger Pufall. Für den Trainer gab es nur zwei Optionen: „Entweder wir hören mit dem Fußball auf und suchen uns eine andere Sportart oder wir verstärken die Mannschaft noch einmal ordentlich.“
Allzu lange musste der 49-Jährige nicht überlegen. Er entschied sich für eine Verstärkung der Mannschaft. Doch wusste Pufall eben auch, dass die neuen Spieler von höchster Qualität sein müssten. Was würde es bringen, zwei oder drei neue Amateurfußballer zu verpflichten? Kein Spieler aus der Bezirksliga, nicht einmal aus der Landes- oder Oberliga, könnte aus dem noch sieglosen Team einen Überflieger machen.
Also verpflichtete Pufall zwei Spieler, die viele Jahre im Profifußball unterwegs gewesen sind. Torwart Patrick Platins war früher Keeper der deutschen U 21-Nationalmannschaft. Rund vier Jahre lang hütete er das Tor von Arminia Bielefeld, machte 26 Spiele in der 2. Bundesliga und 55 Spiele in der 3. Liga. Zudem war er Ersatztorhüter bei den Bundesligisten VfL Wolfsburg und SV Darmstadt 98. Ebenfalls beachtlich ist die Karriere von Dennis Riemer: Der Rechtsverteidiger stammt aus dem Nachwuchs des VfL Wolfsburg und spielte in der 3. Liga für TuS Koblenz sowie Arminia Bielefeld. Im DFB-Pokal trat er gegen Bundesligisten wie Bayer 04 Leverkusen und Hertha BSC an. Kein Witz: In der Rückrunde werden diese beiden Spieler das Trikot vom TSV Ehmen tragen.
Idee kam während einer Party
"Entweder wir hören mit dem Fußball auf und suchen uns eine andere Sportart oder wir verstärken die Mannschaft noch einmal ordentlich"
Doch wie ist so eine Geschichte überhaupt möglich? Trainer Pufall ist aufgrund seiner Vergangenheit als Nachwuchstrainer beim VfL Wolfsburg gut vernetzt. Auf einer Geburtstagsfeier des renommierten Sportjournalisten Sven Froberg, Chefredakteur des Sport-Informations-Diensts, entstand aus einer Bierlaune heraus die Idee, die Mannschaft mit Ex-Profis zu verstärken. Froberg dachte an Patrick Platins, der seine Karriere erst im Sommer beendet hatte, und stellte einen Kontakt her. Pufall erzählt: „Wir haben uns getroffen und er war sofort dazu bereit, uns im Rahmen seiner Möglichkeiten zu unterstützen.“
Als die Zusage von Platins fix war, hatte der Trainer auch mit Dennis Riemer leichtes Spiel: „Die beiden haben in Bielefeld zusammen gespielt und sind gute Kumpels. Sie hatten einfach Lust, noch einmal in einer Mannschaft zu spielen. Letztendlich geht es beiden einfach um den Spaß am Kicken.“ Geld bekommen die Ex-Profis nicht. „Ich habe ihnen nur versprochen, dass sie von mir ein Siegerbier bekommen“, erzählt Pufall lachend, fügt dann schnell hinzu: „Aber wirklich nur, wenn wir ein Spiel gewonnen haben.“
Die beiden Ex-Profis gehen die Rückrunde voller Vorfreude an. Gemeinsame Trainingseinheiten auf dem Fußballplatz fanden zwar noch nicht statt. Bald aber wird drei Mal die Woche trainiert, um den Verein irgendwie in der Liga zu halten. Dennis Riemer, der seine Profikarriere aufgrund von Knieproblemen mit 25 Jahren beenden musste, sagt: „Mich haben ehrlich gesagt drei Dinge überzeugt: Zum einen ist es der Glaube an das Wunder. Warum sollten wir es nicht schaffen, die Klasse noch zu halten? Dann wollte ich natürlich unbedingt noch einmal mit „Plate“ (Patrick Platins) zusammenspielen, und darüber hinaus freue ich mich darauf, dem jungen Ehmer Team viel Erfahrung aus meiner Profizeit mitgeben zu können.“
Klassenerhalt wäre ein Wunder
Auch Platins, der als Torwarttrainer bei den Damen vom VfL Wolfsburg arbeitet, empfindet die Lösung beim TSV Ehmen als ideal: „Ich kann aktuell nur dort spielen, wo meine berufliche Situation und die daraus resultierende Doppelbelastung akzeptiert wird. Das ist in Ehmen der Fall“, sagt er. „Den Torhütern möchte ich in erster Linie meine Erfahrung weitergeben. Wann immer ich kann, werde ich natürlich auch einige Spiele zwischen den Pfosten absolvieren.“
Der Glaube an das Wunder Klassenerhalt ist aufgrund der beiden Verpflichtungen jedenfalls gestiegen. „Wenn wir die ersten drei Spiele im neuen Jahr gewinnen, ist alles möglich“, sagt der Trainer. Und selbst wenn das nicht gelingt: Die beiden Ex-Profis sind alleine schon aufgrund der Medienaufmerksamkeit ein Gewinn für den Verein. Pufall sagt: „Einfach schön, dass es solche Geschichten noch im Fußball gibt.“