Sie wohnen 120 Kilometer voneinander entfernt, liegen 44 Jahre auseinander und arbeiten für zwei unterschiedliche Vereine. Doch der Job des ehrenamtlichen Stadionsprechers eint sie. Linus Tappe und Klaus-Henning-Müller sind für ihre Vereine unersetzlich. Die beiden Unikate aus der Landesliga Braunschweig sind unsere Kultfiguren der Woche.
Der eine ist der jüngste, der andere der dienstälteste Stadionsprecher der Liga. Der eine macht seinen Job seit drei Jahren, der andere seit 18. Linus Tappe und Klaus-Henning Müller, genannt „Mantel-Klaus“, könnten unterschiedlicher nicht sein. Linus ist 15, eher zurückhaltend und noch Schüler. Klaus Henning ist 59, redselig und Frührentner. „Wenn wir unsere Tätigkeit auf aktive Fußballspieler übertragen würden, könnte man sagen C-Junioren gegen Altsenioren“, bringt es Mantel-Klaus im Gespräch mit FUSSBALL.DE auf den Punkt.
"Was die Mannschaft auf dem Platz abliefert, versuche ich auch über die Lautsprecher abzuliefern. Aber wenn die Mannschaft scheiße spielt, versuche ich natürlich, keine Scheiße anzusagen"
Als seine Karriere als Stadionsprecher begann, war sein Kompagnon Linus noch nicht einmal auf der Welt. Als sie sich beim Landesliga-Duell ihrer beiden Vereine vor drei Jahren erstmals begegneten, lernten sie sich sofort schätzen. Der in Südniedersachsen ansässige TSV Landolfshausen empfing zu Hause den Braunschweiger Sport-Club Acosta. Linus war damals 12 Jahre alt und hatte bei den Gastgebern gerade den Job des Stadionsprechers übernommen. „Wir hatten mit ein paar Freunden einen Fanclub und dann kam uns die Idee, dass unser Verein einen Stadionsprecher benötigt“, erinnert sich Linus. Er machte kurzen Prozess: Er brachte seine Anlage von zu Hause mit auf den Sportplatz und übernahm die Verantwortung am Mikro selbst.
Mantel-Klaus, selbst Stadionsprecher beim BSC Acosta, war sofort angetan. „Linus ist sehr verantwortungsvoll und macht seine Sache einfach toll. Er ist ein lieber, netter Bengel.“ In seiner inzwischen 18-jährigen Stadionsprecher-Laufbahn ist ihm die Begegnung mit Linus in besonderer Erinnerung geblieben. Heute stehen die beiden über Facebook in Kontakt und sehen sich, wenn ihre beiden Mannschaften in der Liga aufeinandertreffen - bislang mit einer besseren Bilanz für den BSC Acosta. Vor wenigen Wochen wollte Landolfshausen diese Bilanz eigentlich aufbessern, doch der einbrechende Winter im Dezember machte dem TSV einen Strich durch die Rechnung. Das Spiel wurde abgesagt und das Wiedersehen der beiden Stadionsprecher fiel ins Wasser.
Nervös? Nur noch bei wichtigen Spielen gegen den Abstieg
Mantel-Klaus kam eher zufällig an den Job des Stadionsprechers beim BSC. „Der vorherige Stadionsprecher war so eine Art Friedhofsredner“, sagt er lachend. Als sein Vorgänger und dessen Vertreter dann mal keine Zeit hatten, schlug seine Stunde. „Wie eine Jungfrau zum Kinde bin ich dann an den Job des Stadionsprechers gekommen.“ Was bei der ersten Mannschaft des Vereins anfing, weitete sich aus. Irgendwann kamen die A- und B-Jugendlichen dazu. Und als die Frauen ein wichtiges Spiel um den Aufstieg hatten, übernahm Mantel-Klaus auch dort.
Seinen Spitznamen hat er aber nicht durch seine Stadionsprechertätigkeit erhalten. „Wir hatten damals vier oder fünf Kläuse im Verein. Und als ich irgendwann mal nach der Arbeit im Anzug und Trenchcoat wie Ottmar Hitzfeld zu seiner besten Zeit zum Training von meinem Sohn kam, war ich ab sofort Mantel-Klaus“, erzählt er.
Linus ist neben seiner Stadionsprechertätigkeit noch selbst in der Jugend des TSV Landolfshausen aktiv. Aus dem Grund sagt er nur die erste und zweite Mannschaft an. Vor Spielen ist er inzwischen fast gar nicht mehr nervös. „Nur bei wichtigen Spielen gegen den Abstieg“, sagt er. Seinen Job als Stadionsprecher interpretiert er locker. „Ich gucke mir das Spiel an wie jeder andere auch. Nur, dass ich zwischendurch eben die Ansagen machen muss.“ Sich nebenbei mit Freunden zu unterhalten gehört für ihn dazu. Seine Freunde helfen ihm auch, wenn er mal bei den Namen der gegnerischen Spieler nicht weiterweiß.
Der Versprecher mit Cardoso
Mantel-Klaus hat nach 18 Jahren Stadionsprechertätigkeit vor Spielen eine ähnliche Anspannung wie die Spieler und das Trainerteam. „Was die Mannschaft auf dem Platz abliefert, versuche ich auch über die Lautsprecher abzuliefern. Aber wenn die Mannschaft scheiße spielt, versuche ich natürlich, keine Scheiße anzusagen“, sagt er.
Über einen seiner Versprecher kann er heute noch schmunzeln. Als der ehemalige Bundesliga-Profi Rodolfo Esteban Cardoso mal mit einer Jugendmannschaft des Hamburger SV auf der Anlage des BSC zu Gast war, sagte er ihn versehentlich als „Caruso“ an. „Bei den Aufstellungen gab es damals noch das Durchschreibepapier und ich hatte davon meist das letzte Formular bekommen oder die Kopie davon“, erklärt er seinen Fauxpas. „Ich habe mich dann in der Halbzeitpause bei ihm entschuldigt. Er nahm es locker.“
Linus kann sich auch noch gut an einen Fehler von sich erinnern. Einmal sagte er einen falschen Verein an, als ein Tor fiel. Doch das steckte er locker weg. „Als Stadionsprecher muss man selbstbewusst sein und darf keine Angst haben, sich zu versprechen“, erzählt er. Mantel-Klaus pflichtet ihm bei. „Man sollte kein Mauerblümchen sein.“
Anreiz: Bester ehrenamtlicher Stadionsprecher sein
Mauerblümchen sind sie beide nicht. Im Gegenteil. Mantel-Klaus hat sich in der Braunschweiger Fußballszene einen echten Namen gemacht, ist ab und zu auch bei Testspielen von Eintracht Braunschweig als Stadionsprecher im Einsatz und möchte in Zukunft noch hoch hinaus. „Ich habe den Anreiz, der beste ehrenamtliche Stadionsprecher von einem Amateurteam in ganz Deutschland zu werden. Das ist ein geiles Ziel.“
Linus bleibt bescheiden. Für ihn steht in zwei Jahren erst einmal die Berufswahl vor der Tür. Wohin die Reise gehen soll, weiß er aktuell noch nicht. Dem Beruf des Stadionsprechers möchte er dabei so lange wie möglich treu bleiben. Dazu sollen auch weitere Duelle gegen den BSC Acosta gehören. Am liebsten natürlich in der Landesliga. Mantel-Klaus schließt sich dem an. Sein Wunsch: ein Heimspiel gegen den TSV Landolfshausen zum Ende der Saison. „Wenn es dann in der Tabelle um nichts mehr geht, könnte Linus seine Mannschaft bei uns ansagen.“
Autor/-in: Michael Bieckmann