Tasmania Berlin: Werbung durch Negativrekord

Da waren's nur noch sechs: Nach dem 1:4 bei Borussia Mönchengladbach ist Schalke 04 weiter auf den Spuren von Tasmania Berlin. Um den Negativrekord der Hauptstädter aus der Bundesligasaison 1965/66 zu erreichen (31 Spiele ohne Sieg) fehlen den Königsblauen nur noch sechs Partien.

Im Gespräch mit FUSSBALL.DE lässt der Tasmania-Vorsitzende Almir Numic (38) durchblicken, welche Bedeutung die Minusserie noch heute für seinen Verein hat, wie der Berliner Traditionsklub aktuell aufgestellt ist und wie die Corona-Pandemie den Vereinsalltag verändert.

FUSSBALL.DE: Wären Sie froh, wenn Schalke Ihren "ewigen" Rekord endlich übernehmen würde oder hoffen Sie eher darauf, dass Ihr Verein weiterhin der Inbegriff für chronisch erfolglosen Bundesligafußball bleibt?

Almir Numic: Beides! Als Fan von Borussia Dortmund hätte ich einerseits nichts dagegen, wenn Schalke weiter sieglos bleibt und am Ende sogar absteigt. Andererseits ist diese Geschichte einfach ein Teil der Identität von "Tas". Zwar liegt unsere einzige Bundesligasaison schon fünfeinhalb Jahrzehnte zurück, doch immer wieder werden wir zum Thema - bundesweit. Für diese Werbung, die unserem Bekanntheitsgrad dient und uns somit auch für Sponsoren interessanter macht, müssen wir eigentlich gar nichts tun. Wenn ich geschäftlich zum Beispiel in München zu tun habe, sind etlichen Leuten nicht etwa die Regionalligisten FC Viktoria Berlin und Berliner AK ein Begriff, sondern die Tasmania, obwohl wir erst in der zweiten Saison wieder fünftklassig sind.

"Die so erfolglose Bundesligasaison in den Sechzigern ist nur ein Kapitel, wenn auch ein bedeutendes"

In der Nord-Staffel der Oberliga Nordost rangiert die Mannschaft aktuell auf Platz eins. Nachdem Sie Mitte Mai offiziell den Vorsitz vom langjährigen Klubchef Detlef Wilde übernommen haben, scheinen Sie sich einiges vorgenommen zu haben.

Numic: Dass es bis zur coronabedingten Unterbrechung so gut lief, war nicht unbedingt zu erwarten. Schließlich kämpfte die Mannschaft in der vergangenen Saison bis zum Abbruch gegen den Abstieg. Mit Abu Njie und seinem Bruder Momar als Assistenten haben wir aber ein überragendes Trainerteam, das perfekt harmoniert und mit dem ich absolut auf einer Wellenlänge funke. Die beiden waren früher schon mal bei "Tas" tätig, kennen den Verein also und wollen den gleichen Fußball sehen wie ich - ein technisch anspruchsvolles Spiel mit schönen Kombinationen und keine hohen Bälle. Wenn wir uns gut präsentieren, kann ich es sogar mal verschmerzen, wenn wir ein Spiel 2:3 verlieren. Mir geht es um den Zusammenhalt und das Familiäre. Die Spieler sollen sich zum Verein bekennen - und das wegen der Philosophie und nicht des Geldes wegen. Als ich den Jungs Mitte Mai ein kurzfristiges Ultimatum gesetzt hatte, und wissen wollte, wer zur neuen Saison bleibt, warnte mein Vorgänger, dass dies nicht funktionieren wird. Auf einmal sagten aber 15 Jungs zu, drei folgten einen Tag später, als sie das mit ihren Frauen geregelt hatten. Somit stand der Kader schon zu einem Großteil, statt sich wie in den vergangenen Jahren mühsam in Einzelgesprächen abarbeiten zu müssen.

Sie leiten ein internationales Dienstleistungsunternehmen, das mit seinen rund 1000 Mitarbeiter*innen im Hotelbereich tätig ist. Warum sind Sie die Aufgabe bei Tasmania angegangen?

Numic: Das ist ein Verein mit unglaublicher Tradition und einem enormen Potenzial, ein schlafender Riese, der auch für seine gute Jugendarbeit bekannt ist. Detlef Wilde, der aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr an der Vereinsspitze stehen wollte, hat mich, der früher ausschließlich als Jugendtrainer in Berlin unterwegs war, für das Engagement begeistert. Mit Antonio Rüdiger wurde ein aktueller Nationalspieler hier ebenso ausgebildet wie mit Carsten Ramelow, ein früherer. Tasmania war einst in der A-Jugend-Bundesliga vertreten und hat somit auch, aber nicht nur wegen der Vergangenheit der ersten Mannschaft einen großen Namen. Die so erfolglose Bundesligasaison in den Sechzigern ist da nur ein Kapitel, wenn auch ein bedeutendes.

Dabei handelt es sich strenggenommen gar nicht um den Verein, der mit seiner Mannschaft einst in der Bundesliga so unterging.

Numic: Der damalige Klub war 1973 wirtschaftlich am Ende und wurde aufgelöst. Mit einer leichten namentlichen Abwandlung - SV statt SC Tasmania - erfolgte eine Neugründung. Zunächst hieß der Verein Tasmania Neukölln, dann Gropiusstadt, ehe man 2011 auch mit der Ortsbezeichnung wieder an alte Traditionen anknüpfte und zu Tasmania Berlin zurückkehrte.

Wo soll es mit Tasmania in den nächsten Jahren hingehen?

Numic: Ich will das gar nicht so sehr an einer Liga festmachen. Wenn wir es mal in die Regionalliga packen würden - schön. Schaffen wir das nicht, ist das auch kein Problem. Mir geht es um ein intaktes Vereinsleben, um eine starke Jugend, die mit Talenten unsere erste Mannschaft versorgen zu soll. Wir haben hier Spieler, die bei uns zugleich Nachwuchstrainer sind. Wenn diese Kids dann zu unseren Oberligaspielen kommen und ihren Vorbildern die Daumen drücken, ist das eine tolle Sache - genauso, wenn Aktive oder Mitglieder uns bei der Verschönerung der Sportanlage helfen. So haben im Frühjahr 30, 40 Leute Sträucher geschnitten, Sitze gereinigt und Tribünen im Werner-Seelenbinder-Stadion wieder in Schuss gebracht. Es sind manchmal auch eher Kleinigkeiten, durch die einem das Herz aufgehen.

Können Sie da ein Beispiel nennen?

Numic: Nach unserem 3:1-Heimsieg Mitte September gegen den SFC Stern kamen zwei ältere Herren auf mich zu und fragten mich, ob ich wüsste, wer sie seien. Als ich dies verneinte, stellten sie sich als frühere Mitglieder der 1965/1966er Bundesligamannschaft vor. Sie waren jahrelang nicht mehr zu den Spielen gegangen. Von dem neuen Aufschwung zeigten sie sich total begeistert. Sie haben ihre Liebe zu "Tas" neu entdeckt.

Wie geht Ihr Verein mit der aktuellen Corona-Krise und der Spielpause um?

Numic: Immerhin können bei uns in Berlin die Kinder bis zwölf Jahre weiter trainieren. Ansonsten ist Geduld angesagt. Bereits während der ersten Unterbrechung haben wir hinter den Kulissen gearbeitet. Auch diesmal entwickeln wir Ideen und knüpfen so wie es eben geht und erlaubt ist Kontakte. Wenn ich sehe, was wir in den vergangenen Monaten hier gemeinsam geschafft haben, sehe ich der Zukunft positiv entgegen - und das am Ende unabhängig davon, ob wir jetzt den Bundesliga-Negativrekord weiter halten oder irgendwann nicht mehr.