Der Anruf erreichte Ramy Raychouni auf dem Rückweg vom Friseur. Eine Nummer mit libanesischer Vorwahl. Vielleicht ein Verwandter? Aber der würde auf dem Festnetz anrufen. Raychouni überlegte kurz, ging dann ans Handy. Es meldete sich Hachem Haydar, Präsident des libanesischen Fußballverbandes. „Da will mich einer verarschen“, war Raychounis erster Gedanke. Aber es war wirklich der Präsident und er meinte es ernst: Haydar wollte dem Stürmer des Berlin-Ligisten Tennis Borussia mitteilen, dass er für die Nationalmannschaft nominiert sei. Und wiederholte das mit Nachdruck.
Nach dem Gespräch fragte Raychouni im Freundeskreis nach, ob sich jemand einen Spaß erlaubt hätte. Falls ja, sei es jetzt an der Zeit, das aufzulösen. Keiner löste auf. Ein paar Tage später schrieb Tennis Borussia auf der Homepage: „Lieber Ramy, unsere allerherzlichsten Glückwünsche. Wir sind saustolz, als Sechstligist einen A-Nationalspieler in unseren Reihen zu haben.“
Der 124. der Weltrangliste
Es stehen Ende Januar zwei Testspiele an. Und nicht gegen irgendwen, sondern gegen WM-Teilnehmer Iran und den siebenmaligen Afrika-Cup-Sieger Ägypten. Ein Problem stellt die angespannte Sicherheitslage im Libanon dar, nach jetzigem Stand können die Partien aber stattfinden. „Mir fällt es immer noch schwer, zu glauben, dass ich dabei bin“, sagt Raychouni, der in Berlin geboren wurde. Seine Eltern waren aus dem Libanon nach Deutschland gekommen. Wird er beim 124. der FIFA-Weltrangliste eingesetzt, ist er der erste aktuelle Nationalspieler von TeBe seit fast 15 Jahren. Damals, als sich der Club mit den Geldern des Sponsors Göttinger Gruppe in der 2. Bundesliga ein Starensemble leistete, standen zum Beispiel Bruno Akrapovic (der Länderspiele für Bosnien absolvierte), Sasa Ciric (Mazedonien) und Jan Suchoparek (Tschechien) im Kader.
"Ramy ist ein starker Fußballer, aber er hat auch seine Flausen im Kopf. Den muss man immer wieder mal einfangen"
Wie sind die auf mich gekommen, einen Stürmer aus der 6. Liga? Woher haben sie meine Nummer? Fragen, die Raychouni selbst nicht beantworten kann. Und die er im Gespräch mit dem Präsidenten nicht gestellt hat. „Ich wusste ja gar nicht so genau, was da am Telefon abläuft“, erinnert er sich.
Raychouni fühlt sich als „Deutscher mit libanesischer Herkunft.“ Er ist in Berlin aufgewachsen, zur Schule gegangen, hier hat er alle seine Freunde. Ein Großteil der Familie lebt im Libanon. Zum letzten Mal war er vor drei Jahren da: „Ich freue mich darauf, meine Verwandten zu treffen“, sagt der 20-Jährige, der fließend arabisch spricht. Und er freut sich auf den Moment, in dem die Nationalhymne gespielt wird. Die hat er sich zu Hause laut angehört, nachdem das Gespräch mit dem Verbandspräsidenten beendet war.
Die Nationalmannschaft ist etwas Außergewöhnliches. Etwas, woran er überhaupt nicht gedacht hatte. Der Fußball-Alltag spielt sich in Berlin ab. Bei Tennis Borussia, dem ehemaligen Bundesligisten, der in die Oberliga aufsteigen will. „Natürlich ist das das Ziel. Sonst bräuchten wir das Trikot nicht tragen“, sagt Raychouni.
Er ist ohnehin ein Freund der offenen Worte. Mitunter zu offen, wie er einräumt: „Erst reden, dann denken, das ist manchmal ein Problem von mir.“ Dass er in dieser Saison mitunter auf der Ersatzbank saß, lag nicht an den sportlichen Leistungen: „Ramy ist ein starker Fußballer, aber er hat auch seine Flausen im Kopf. Den muss man immer wieder mal einfangen“, sagte Trainer Daniel Volbert kürzlich im Fachblatt Fußball-Woche .
Raychouni gilt als Riesentalent. Seine Auftritte seit der Rückrunde der letzten Saison haben sich rumgesprochen. Vereine aus höheren Ligen sollen interessiert sein. Raychouni weiß noch nicht, wie es weitergeht. Er will erst einmal mit TeBe aufsteigen.
In der Jugend hat er für Hertha 03 Zehlendorf in der Bundesliga gespielt. Nach einer Saison im Nachwuchs bei Tennis Borussia wollte er sich beim SV Babelsberg 03 in der Regionalliga durchsetzen: „Aber ich habe nicht Fuß gefasst.“ Er spielte nur in der zweiten Mannschaft in der Brandenburg-Liga. Raychouni begann zu grübeln: Lohnt sich der Aufwand für den Fußball überhaupt noch? Ganz aufhören – dieser Gedanke stand im Raum.
Probetraining vor einem Jahr
Das verhinderte Willy Kausch. In dessen großer Agentur absolvierte er nicht nur eine Ausbildung zum Eventmanager. Kausch berät ihn auch sportlich und organisierte ihm vor gut einem Jahr ein Probetraining bei TeBe. Der damalige Trainer Markus Schatte sprach gleich mit dem sehr begabten, aber nicht immer einfachen Spieler. „Ich hatte plötzlich wieder Lust auf Training und Wettkampf“, erzählt Raychouni. Er braucht Zuspruch, das Vertrauen seines Umfelds – sagt er selbst, sagen andere über ihn.
Als der Spaß zurück war, kamen die Erfolgserlebnisse in Form von Toren und Siegen. Die ihm nun auch die Einladung zur libanesischen Nationalmannschaft gebracht haben. „Auf einen Anruf des DFB wollte ich nicht warten“, lacht Raychouni: „Den hat ohnehin eher Michael Fuß verdient.“ Fuß ist 37 Jahre alt, schießt für Tennis Borussia immer noch Tore am laufenden Band und gilt im Berliner Fußball inzwischen als lebende Legende.
Autor/-in: Sebastian Schlichting