Serie: Heimathäfen der Kapitäne|24.12.2014|10:30

Weltmeister Lahm: Besonders gern in Gern

Vom Talent in Gern zum Weltmeister mit dem DFB-Team: Philipp Lahm. [Foto: Imago]

Aus ihren kleinen Heimatvereinen zogen sie einst aus, um die große Fußballwelt zu erobern und die Nationalmannschaft als Kapitäne aufs Feld zu führen. FUSSBALL.DE stellt die Heimathäfen der Kapitäne vor. Heute: Philipp Lahm und die FT Gern, bei der Mama Lahm noch immer Jugendleiterin ist. Klar, dass Philipp noch immer gern in Gern ist.

Von wegen Deutschland, von wegen DFB-Team. Nichts ist es mit dem großen Titel. Belgien ist Weltmeister. Und ausgerechnet Lahm ist schuld. Denn der Erfolg der Belgier geht auf die Initiative von Daniela Lahm zurück. Wer bitte, was bitte, wie bitte?

Der Reihe nach. Daniela Lahm ist die Mutter von Philipp Lahm. Sie ist Jugendleiterin der Freien Turnerschaft Gern, dem Verein, in dem ihr Sohn Philipp seine ersten fußballerischen Gehversuche unternommen hat. In dieser Funktion hat sie dafür gesorgt, dass eine schöne Tradition erhalten geblieben ist: die "Mini-WM". Seit mehr als 20 Jahren spielen die Vereine des Münchner Nordens parallel zu den Fußball-Großereignissen mit ihren E-Junioren-Mannschaften die Welt- und Europameisterschaften nach.

Veranstalter dieser Meisterschaften war ursprünglich der VfR Garching, doch für 2014 hatte der Verein aus Rentabilitätsgründen von der Ausrichtung Abstand genommen - auch weil das Interesse der Teilnehmer deutlich nachgelassen hatte. Auftritt Daniela Lahm. Als sie davon erfuhr, dass die Mini-WM einzuschlafen drohte, fand sie Mittel, Wege und Hebel, ihren Verein dafür zu begeistern, als Ausrichter in die Bresche zu springen. Wobei sie auch intern Widerstände zu überwinden hatte.

"Einige Eltern erwarten, dass wir auch aus ihren Kindern Bundesligaspieler machen"

Letztlich wollten fast alle der kontaktierten Vereine mitmachen. Das Prinzip: Den E-Jugend-Mannschaften wurde vor Beginn ein WM-Teilnehmer zugelost, unter dessen Namen das Team bei der Mini-WM auflief. Das Ergebnis: Im großen Finale standen sich die der Elfenbeinküste (FC Ismaning) und Belgien (SV Untermenzing) gegenüber. Das Ergebnis: 5:1, Belgien ist also amtierender "Mini-Weltmeister". Die FT Gern schied als Brasilien im Viertelfinale aus.

Dennoch war die Veranstaltung für die FT Gern und für Daniela Lahm ein großer Erfolg. Das Turnier steht für das Engagement des Vereins, dafür, dass der Nachwuchs in Gern familiäre und optimale Bedingungen vorfindet. Auch dank Mutter Lahm. Und dank einer erfreulichen Wandlung. Als Daniela Lahm vor 17 Jahren bei der FT Gern als Jugendleiterin anfing und noch nicht daran zu denken war, dass sie irgendwann die Mutter des Weltmeisterkapitäns sein würde, war vieles schwieriger im Klub.

"Die Jugendlichen heute sind viel leichter zu lenken"

Immer wieder gab es Krach, Schlägereien - ihre Jugendspieler meist mittendrin. Regelmäßig musste Daniela Lahm zur Polizei. "Damals gab es hier richtige Kämpfe zwischen den Nationalitäten, die wurden mit in den Verein gebracht", erzählt sie. Heute sind die Kämpfe ausgefochten. "Die Jugendlichen heute", meint Daniela Lahm, "sind viel leichter zu lenken." Das trifft auch auf die Unruhestifter von einst zu. Fast alle haben sie dem Verein die Treue gehalten, einige ihrer Kinder spielen im Klub. "Das ist das schönste Gefühl", sagt die Jugendleiterin, "zu sehen, dass die Arbeit etwas gebracht hat."

Daniela Lahm ist schon ihr ganzes Leben bei der FT Gern. Von Kindesbeinen an war der Sportplatz im Münchner Stadtteil ihr zweites Zuhause. Ihr Vater spielte für den Klub, ihr Bruder, beide Onkel, ihr späterer Ehemann - und natürlich auch Philipp. "Ich war immer dabei, es war immer schön, nie ein Muss", erinnert sich Daniela Lahm.

Mit 16 passte sie am Spielfeldrand auf die Kinder von Spielern auf, während die kickten. Später ging sie mit dem eigenen Kind zum Training, zum Spiel. "Chaffeurin spielen, für die Getränke sorgen, Trikots waschen - und natürlich trösten", fasst Daniela Lahm ihre Zeit als klassische Fußball-Mama zusammen, die schließlich in ein offizielles Amt mündete. Ein halbes Jahr war sie stellvertretende Jugendleiterin, dann übernahm sie die Führungsrolle. "Ich wusste, man kann nicht nur Ansprüche stellen, man muss auch selbst was machen", sagt sie.

27 Jugendteams - auch dank des Lahm-Faktors

Mama Lahm hat einiges getan. Als sie anfing, waren es zehn, elf Jugendmannschaften in Gern. Jetzt sind es 27, verteilt auf alle Altersklassen. Bereits 2007 schrieb das Nachrichtenmagazin "Focus" in einer Reportage vom "Wunder von Gern". Mehr als 300 Kinder und Jugendliche jagen bei der Freien Turnerschaft dem Ball hinterher.

Und der Lahm-Faktor? Der bekannte Name? Daniela Lahm überlegt kurz. Die kleine Frau mit der großen Energie rückt ihre Brille zurecht. Natürlich sind die Kontakte bestens. Bei den Feierlichkeiten zum 100-jährigen Jubiläum kamen die großen Bayern und lockten 10.000 Zuschauer zum Freundschaftsspiel an. Beim Amateurfußball-Kongress 2012 des DFB in Kassel stand Daniela Lahm als Gastrednerin auf der Bühne. Beim Champions-League-Finale 2012 in München durfte die Jugendabteilung der FTG eine Choreografie im Stadion aufführen.

"Und natürlich ist der Werbewert für neue Mitglieder hoch", bemerkt Daniela Lahm. Nicht erst seit dem Gewinn der WM. Ein Verein, der einen Nationalspieler hervorgebracht hat, einen Weltmeister, den Kapitän des Weltmeisters sogar, ist kein x-beliebiger Amateurklub. Das hat nicht nur Vorteile. "Einige Eltern erwarten, dass wir auch aus ihren Kindern Bundesligaspielern machen", erzählt Daniela Lahm.

An das Los, einen prominenten Namen zu tragen, hat sich Daniela Lahm gewöhnt. Auch daran, nicht immer und überall Auskunft zu geben. "Am Anfang habe ich da 1000 Fehler gemacht", erinnert sie sich. Wer nett fragte, bekam eine Antwort von ihr - über die Karriere des Sohnes, seinen Gesundheitszustand, den FC Bayern. Nach manch schlechter Erfahrung hat sie sich mehr Zurückhaltung auferlegt. Daniela Lahm nennt es einen "Reifeprozess".

Nur Kritik an ihrem aktuell verletzten Sohn, die nimmt sie sich weiterhin zu Herzen - ganz egal, wie sehr sie sich vorgenommen hat, gelassen zu bleiben. "Philipp sagt dann immer: 'Mama, hast du immer noch nichts gelernt?'" Nein, das ist noch genau wie früher, vor mehr als 20 Jahren bei der FT Gern, als Daniela Lahm Chauffeurin, Trikotwäscherin und Trösterin war.

Alle Folgen der Serie:

1906 Haidhausen: Kaiser Beckenbauer auf Roter Erde

Union Altona: Schon Adolf Jäger zog es zu 93

Ballack: Der Capitano aus dem Chemnitzer Kombinat

Kohler: Zu Hause in Lambsheim feierte ihn sogar der Rivale

Ludwig Leinberger: Der vergessene DFB-Kapitän des TSV 1846 Nürnberg

TB Gingen: Ein Klinsmann unter lauter Turnern

SW Düren: Von Toni Schumacher Kämpfen gelernt

SV Lippstadt: In der Not hilft Rummenigge

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Blaubach-Diedelkopf: Ein Klose war zu wenig