Der 51-jährige Thomas Wilkens vom SV Blau-Weiß Langförden im niedersächsischen Vechta ist seit Jahrzehnten im Fußball aktiv. Seine beiden Söhne spielen Fußball. Jetzt hat er die Aktion "Gegen Hass und Gewalt im Jugendfußball" gestartet - und damit einen Nerv getroffen.
FUSSBALL.DE: Herr Wilkens, was war der Auslöser Ihrer Initiative "Herzschlag"?
Ich bin im Verein als Jugendtrainer und als Jugendwart tätig. Am Ende der vergangenen Saison bestritten wir mit der B-Jugend ein Auswärtsspiel. Die gegnerische Mannschaft setzte einen talentierten Jungen aus ihrer C-Jugend ein. Als der gefoult wurde, hat er am Boden liegend nachgetreten. Als ich versuchte zu deeskalieren, sprang er auf und warf mir ziemlich viele Wörter an den Kopf.
Was hat er gesagt?
"Wir müssen uns fragen, woher kommt die Gewalt, wo lernen die Kinder so ein Verhalten"
Unter anderem sagte er: "Was willst du denn, du blöder Wichser?" Als 14 Jahre alter Jugendspieler. Seine Trainer sind mit eingestiegen. Nach dem Abpfiff formierte die gegnerische Mannschaft vor unserer Kabinentür ein Spalier. Da sind wir dann wortlos durchmarschiert. Aber später ging das weiter, bis hin zu Gewaltandrohungen auf den Sozialen Medien.
Wie haben Sie reagiert?
Ich habe das Gespräch mit dem Jugendwart des Vereins gesucht, der den Spieler sofort rausgeworfen hat.
Gab es weitere Auslöser?
Mein F-Jugend-Trainer hat mir von einem Streit zwischen zwei seiner Jungs erzählt. Das wurde so schlimm, dass er einschritt und den aggressiveren Jungen aufforderte, sich zu beruhigen und nach Hause zu gehen. Außerdem sperrte er ihn für das kommende Spiel. Der Junge mobilisierte daraufhin seine beiden Brüder und alle drei haben am nächsten Tag auf dem Pausenhof den anderen Jungen verprügelt. Noch ein Vorfall - ein 16 Jahre alter Jungschiedsrichter aus unserem Verein leitete eine Partie in der D-Jugend. Es kam zu einem Ellenbogencheck auf Gesichtshöhe. Der Jungschiedsrichter verzichtete auf Platzverweis und verhängte eine Zeitstrafe. Aber auch das war dem Trainer zu viel, er begann lauthals zu protestieren. Nach dem Abpfiff stürmten sechs Spieler, also 12-Jährige, die Kabine des Schiedsrichters und beschimpften ihn.
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Und dann hat es Ihnen gereicht?
Genauso war es, ich dachte, das geht zu weit.
Wie haben Sie reagiert?
Ich habe eine Mail an den NFV-Jugendausschuss geschrieben und durfte auf einer Versammlung der Jugendwarte den Vorgang berichten. Gemeinsam mit einer Agentur habe ich das Keyvisual entwickelt, bin durch den Landkreis gefahren und habe die Fotos geschossen. Mittlerweile sind rund 500 Poster gedruckt und im Kreis verteilt. Ich wollte, dass die Leute die Kinder wiedererkennen, um zu zeigen: Das passiert direkt bei uns. Wenn der DFB ein neues Plakat rausbringt, ist das gut und schön. Aber mehr Wirkung hat es doch, wenn es von uns kommt.
Die Zahlen des DFB-Lagebilds zum Amateurfußball sind nach der Pandemie erstmal gestiegen und seit zwei Jahren auf erhöhtem Niveau stabil. Das ist erstmal eine gute Nachricht, aber allein in den Altersstufen D- bis F-Junioren kam es in der Saison 2022/23 zu 126 Spielabbrüchen. Wie verfolgen Sie die gesamte Entwicklung?
Die Dunkelziffer ist weit höher. Junge Schiris trauen sich doch oft gar nicht, etwas im Spielbericht einzutragen. Ich bin seit 35 Jahren Jugendtrainer und der Meinung, die Gewalt im Kinder- und Jugendfußball hat zugenommen.
Was muss sich ändern, damit die Gewaltvorfälle wieder zurückgehen?
Wir müssen uns fragen, woher kommt die Gewalt, wo lernen die Kinder so ein Verhalten. Es ist doch so, dass im Profifußball der Schiedsrichter bestürmt wird, wenn er Rot zeigt oder auf Strafstoß entscheidet. Für die Kinder wird so ein Verhalten dadurch Normalität. Natürlich liegt die Verantwortung beim Elternhaus. Und schließlich überschätzen sich die Trainer teils maßlos. Die tun so, als würde es in der F-Jugend um die Weltmeisterschaft gehen. Der Trainer einer zweiten Mannschaft in unserem Kreis hat in einer Saison dreimal Rot gesehen. Da kannst du doch echt nur den Kopf schütteln.
Autor/-in: Thomas Hackbarth