Sonntag, 15 Uhr: Auf unzähligen Fußballplätzen ist das seit jeher die heilige Anstoßzeit für Amateure. Die Bratwurst bräunt sich auf dem Grill, das Bier läuft kühl durch die Zapfanlage oder lässt die Flasche beschlagen. Kult in ganz Deutschland, doch das Idyll ist bedroht. Weil die Bundesliga im Zuge der Ausweitung der Spieltage auch den Sonntagnachmittag mit mindestens zwei Spielen belegt, schlagen vor allem die kleinen Klubs im Ruhrgebiet Alarm. Denn die Reviergiganten Borussia Dortmund und Schalke 04 spielen in dieser Saison in der Europa League, das bedeutet donnerstags international und sonntags in der Bundesliga.
Weil der BVB auch noch durch zwei Qualifikationsrunden musste, sind die Westfalen an den ersten sieben bisher fest terminierten Spieltagen gleich viermal sonntags am Ball. Schalke, das direkt in der Gruppenphase der Euro League starten darf, zunächst zweimal, aber auch in Gelsenkirchen wird sich das im Laufe der weiteren Hinrunde häufen.
Brünninghausen: Immer freitags
Nun müssen die kleinen Vereine kreativ sein, um sich gegen die prominente Konkurrenz zu behaupten. So traut sich zum Beispiel an diesem Wochenende kaum ein Dortmunder Amateurklub, zeitgleich gegen den BVB anzutreten. In der Westfalenliga 2 gibt es deshalb lediglich zwei Verlegungen, da drei der fünf Dortmunder Teilnehmer in der Staffel auswärts ran müssen. Der FC Brünninghausen empfing bereits am Freitag den FC Iserlohn am Hombruchsfeld, das nur etwa fünf Kilometer vom Signal Iduna Park entfernt ist. „Wir haben vorsorglich drei Heimspiele auf den Freitagabend vorverlegt“, berichtet Klaus-Dieter Friers, Sportlicher Leiter beim FCB. Zweimal ist das Ausweichen vor dem BVB der Grund, einmal jedoch nicht. „Das Derby gegen den Kirchhörder SC am 11. September spielen wir auch deshalb freitags, weil wir in Dortmund so viele überkreisliche Vereine haben, die sonntags um 15 Uhr spielen“, erklärt Friers.
„Für die meisten Dortmunder Amateurklubs wäre es ein Segen, wenn sich der BVB nicht für die Europa League qualifiziert hätte“
Der Grund für eine Terminverschiebung ist also meistens die große Borussia, aber nicht immer. Das Problem bei den kleinen Klubs ist beileibe nicht nur, dass weniger Zuschauer kommen, die sich zur Hälfte auch noch ins Vereinsheim zum Sky-Live-Partie auf der Großbild-Leinwand verdrücken oder dass der Grillmeister wegbleibt: Wenn der BVB zeitgleich spielt und 80.000 Leute ins Stadion lockt, geraten viele Spieler in den gleichen Gewissenskonflikt wie die Fans oder ehrenamtlichen Helfer. „Einige unserer Jungs sind BVB-Mitglieder und haben eine Dauerkarte. Natürlich ist es nicht so, dass die in einer so hohen Spielklasse wie der Westfalenliga dann einfach nicht bei uns wegbleiben, sondern ins Stadion gehen würden, aber mit den Verlegungen können wir auch diesem Konflikt aus dem Weg gehen“, sagt Friers.
In Brünninghausen kommt noch ein ganz eigenes Problem hinzu: Andreas Kluy und Nico Luft sind bei einem Profiverein angestellt – allerdings nicht beim BVB, sondern auf der Geschäftsstelle des VfL Bochum. Wenn der Zweitligist an der Castroper Straße spielt, müssen der Keeper und der Abwehrmann vor Ort sein. „In der letzten Saison haben sie deshalb einige unserer Partien verpasst“, weiß Friers.
Donnerstags kein Training
Dimitrios Kalpakidis ist leidenschaftlicher BVB-Fan. Über seine Borussia verliert der Spielertrainer des Landesligisten BSV Schüren dennoch derzeit kaum ein gutes Wort, auch wenn die Stars von Trainer Thomas Tuchel überragend in die Saison gestartet sind. „Dimi“ schimpft über den großen Fußball, der den kleinen kaputt mache und geht mit seiner gut vorgetragenen Argumentation als legitimer Nachfolger der Ur-Protestler Grundmann und Bauer aus Gelsenkirchen voran. „Das ist eine Katastrophe“, stöhnt Kalpakidis über die Spieltermine des aktuellen Bundesliga-Tabellenführers. „Für die meisten Dortmunder Amateurklubs wäre es ein Segen, wenn sich der BVB nicht für die Europa League qualifiziert hätte.“
Beim Aufsteiger reicht der gewaltige Einfluss des schwarz-gelben Giganten sogar so weit, dass Kalpakidis überlegt, die Trainingszeiten zu ändern. „Normalerweise trainieren wir dienstags, donnerstags und freitags. Am Donnerstagabend spielt der BVB in der Europa League und viele meiner Spieler haben eine Dauerkarte oder wollen das Match im Fernsehen anschauen. Was machst du da als Trainer, schließlich sind wir eine Amateurmannschaft“, klagt Schürens Coach.
Er selbst hat letzten Sonntag „zum ersten Mal seit Jahren ein BVB-Spiel verpasst“, das 4:0 beim FC Ingolstadt wäre für ihn bei Sky Pflicht gewesen, aber seine eigene Mannschaft musste um 15 Uhr zum Meisterschaftskick bei Wattenscheid 08 ran. „Das war ein ganz komisches Gefühl“, berichtet Kalpakidis. „Ein Wochenende, ohne die Borussia live zu sehen, ist mir schwer gefallen.“
Amateure sind Basis für Profis
Sein Spieler Matthias Bergner hat gar nicht die Wahl, sich gegen Borussia Dortmund und für den BSV Schüren zu entscheiden. Der Stürmer arbeitet in der Merchandising-Abteilung des BVB und muss an Spieltagen schwarz-gelbe Schals oder andere Fanutensilien verkaufen. „In Wattenscheid hat er gefehlt“, berichtet der BSV-Vorsitzende Peter Seifert.
Nächsten Sonntag müssen Bergner und Kalpakidis nicht zwischen zwei Stühlen Platz nehmen. Schürens Nachbarschaftsderby gegen den Lüner SV wurde auf Samstag um 18 Uhr vorgezogen und weitere Terminverschiebungen sind in der Planung. „Alle Vereine können uns gerne anschreiben oder mich anrufen: Wir würden jedes Spiel verlegen“, richtet der Grieche einen flammenden Appell an Schürens künftige Gegner.
Kalpakidis ist dabei nicht so selbstgerecht, die Konkurrenz durch Bundesliga-Spiele am Sonntag auf seinen Verein herunterzubrechen. Schließlich sei der Amateurfußball doch die Basis für den Profisport, erst durch die Arbeit im Kleinen seien Erfolge im Großen möglich. Wenn der BVB aber sonntags spielt, und sei es erst um 17.30 Uhr statt zwei Stunden früher, stehe in den Schürens dieser Welt alles in Frage. „Das Vereinsleben geht kaputt“, betont Kalpakidis. „Wenn wir um drei spielen und der BVB um halb sechs, sind die meisten Zuschauer bei uns um halb fünf und damit vor Schluss weg. Auch die Spieler beeilen sich mit dem Duschen und sind eine Viertelstunde nach dem Abpfiff weg.“ Sein Wunsch: „Die Bundesliga kann sonntags gerne um 20 Uhr spielen, doch der Nachmittag muss den Amateuren gehören!“
TSC Eintracht: Parkplatz des BVB
Kein Dortmunder Verein ist so nahe dran am BVB wie der TSC Eintracht, allerdings nur geographisch. In ihrer Auffassung, wie der Fußball tickt und was für ihn wichtig ist, liegen zwischen der 500 Meter vom Signal Iduna Park entfernten Eintracht und der Borussia Welten. Tim Heydecke, Sportlicher Leiter der TSC-Fußballabteilung, kann zig Gründe aufzählen, warum der große Nachbar kein Segen für die Eintracht ist, sondern ein Fluch. „Wenn der BVB ein Heimspiel hat, können wir nicht spielen“, sagt er. Und das bei einem Mehrspartenverein mit allein 20 Mannschaften in seiner Fußballabteilung.
Den vermeintlich heiligen Sonntag einmal außen vorgelassen und den Fall angenommen, Borussia Dortmund tritt im Signal Iduna Park zur „normalen“ Anstoßzeit um 15.30 Uhr an, muss beim TSC Eintracht spätestens ab 13 Uhr der Ball ruhen. „Dann werden die Parkplätze an unserer Anlage gebraucht“, erzählt Heydecke. Fünf Euro kostet die Stellfläche. Ob die Autofahrer Eltern sind, die ihre Minikicker zum Spiel bei der Eintracht begleiten beziehungsweise sie von dort abholen, oder zum BVB wollen, ist den Ordnern egal. Eine Entschädigung von Seiten des BVB gibt es für den TSC übrigens nicht. „Wir informieren unsere Gastvereine immer darüber, wenn die Borussia spielt, damit sie frühzeitig anreisen“, teilt Heydecke mit.
Weil Lothar König, der Staffelleiter der Bezirksliga 8 Westfalen, ein findiger Kerl ist, hat der beim Spielplan derlei Kollisionen von vornherein berücksichtigt. So kommt es, dass die erste Mannschaft des TSC erst am siebten Spieltag ein Heimmatch parallel zum BVB hat. „Klar, die Partie gegen den TuS Hannibal wollen wir verlegen“, kündigt Heydecke an. Auch das wird dann wohl wieder eine organisatorische Meisterleistung, denn an diesem 27. September spielen neben den drei Seniorenteams der Eintracht auch beide A-Jugendmannschaften.
Auch Schalke kommt noch
Weil auch der FC Schalke in der Europa League startet, wird das Übel der Bundesliga-Sonntagsspiele bald auch auf die Amateurvereine in Gelsenkirchen zukommen. Im Gegensatz zum BVB musste Schalke nicht erst noch durch die Qualifikation und ist daher erst am vierten Spieltag (Sonntag, 13.09., 17.30 Uhr gegen Mainz 05) sonntags am Ball. Spielverlegungen der benachbarten überkreislichen Vereine aus Hassel, Resse, Buer und Erle sind die Folge.
Einer, der lange im Geschäft ist und das Problem sowohl im Schalker als auch Dortmunder Umland erlebt hat, ist Rüdiger Kürschners. Eine der früheren Trainerstationen des aktuellen Coaches von Erle 08 war der VfL Schwerte. „Dort habe ich das besonders drastisch erlebt. Wir hatten beim Heimspiel 200 Zuschauer auf dem Platz, davon haben sich 70 unsere Partie angeguckt und 130 waren im Vereinsheim, wo der BVB live auf Sky lief“, erinnert sich Kürschners.
Sonntagsspiele BVB (nach Terminierung der ersten sieben Spieltage):
- 30.08., 15.30 Uhr: BVB – Hertha
- 20.09., 17.30 Uhr: BVB – Leverkusen
- 27.09., 17.30 Uhr: BVB – Darmstadt
Verlegungen Amateurspiele in Dortmund (überkreisliche Mannschaften):
Westfalenliga 2:
- Fr., 28.08., 19.30 Uhr: FC Brünninghausen – FC Iserlohn
- So., 30.08., 18.30 Uhr: Westfalia Wickede – Holzwickeder SC
- So., 06.09., 18.00 Uhr: Holzwickeder SC – FC Brünninghausen
- Fr., 11.09., 19.30 Uhr: FC Brünninghausen – Kirchhörder SC
(BVB spielt allerdings am Samstag, 12.09., 15.30 Uhr in Hannover)
- So., 20.09., 14.00 Uhr: SV Brackel 06 – Hedefspor Hattingen
Landesliga Westfalen 3:
- Fr., 28.08., 19.30 Uhr. VfL Kemminghausen – VfB Günnigfeld
- Sa., 29.08., 18.00 Uhr:BSV Schüren – Lüner SV
- So., 30.08., 13 Uhr: SSV Mühlhausen-Uelzen – Concordia Wiemelhausen
Bezirksliga Westfalen 8:
- Freitag, 28.08., 19.30 Uhr: SuS Kaiserau – TSC Eintracht Dortmund
- Freitag, 28.08., 19.30 Uhr: FC Overberge – SC Husen-Kurl
- Samstag, 29.08., 18.30 Uhr: TuS Westfalia Wethmar – TuS Hannibal
Autor/-in: Heiko Buschmann