Das letzte Spiel in der EM-Gruppe A zwischen der Schweiz und Deutschland heute (ab 21 Uhr, (live bei MagentaTV und in der ARD) in Frankfurt am Main hat ein wenig an Spannung verloren. Der Gastgeber im DFB-Trikot ist nach den beiden überzeugenden Siegen und Schottland und Ungarn schon weiter und darf fürs Achtelfinale planen, die "Nati" ist ebenfalls so gut wie sicher eine Runde weiter. Ein Spieler des 1. FC Rielasingen-Arlen kann den Anpfiff dennoch kaum erwarten.
Gianluca Tolino, Keeper des Verbandsligisten aus dem südbadischen Grenzgebiet, ist heiß auf die Partie. Kein Wunder, er ist Schweizer und einer der wenigen Fußballer aus dem Nachbarland, die in einem deutschen Amateurklub aktiv sind. Wie es zum Wechsel zur "Talwiese" kam und was er vom EM-Match am Sonntagabend erwartet, erzählt der 24-Jährige im FUSSBALL.DE -Interview.
FUSSBALL.DE: Gianluca Tolino, bist du zufrieden mit dem bisherigen
Auftreten der Nati?
Gianluca Tolino: Das erste Spiel gegen Ungarn war gut, das war ein starker Start ins Turnier. Aber gegen Schottland konnten wir diese Leistung nicht bestätigen und müssen mit dem Unentschieden zufrieden sein. Die Schotten mussten nach dem schwachen Auftritt gegen Deutschland eine Reaktion zeigen, das ist ihnen gelungen. Dennoch haben wir mit vier Punkten eine sehr gute Ausgangsposition, was das Erreichen der K.o.-Runde angeht.
"Wenn Deutschland so spielt wie gegen Schottland und Ungarn, dann rechne ich mir für die Schweiz höchstens ein Unentschieden aus"
Hat die Schweiz gegen die bisher sehr starke deutsche Mannschaft eine Chance?
Tolino: Wenn Deutschland so spielt wie gegen Schottland und Ungarn, dann rechne ich mir höchstens ein Unentschieden aus. Das wäre aber sicher für beide Teams okay, denn dann würde Deutschland Erster bleiben und wir ebenfalls weiterkommen.
Wie weit kommt die Schweiz insgesamt?
Tolino: Das Viertelfinale ist machbar, wenn das Team alles abruft, was in den Spielern steckt. Das hängt ja auch davon ab, wenn man in den K.o.-Spielen als Gegner hat.
Wie weit kommt Deutschland?
Tolino: Nach den bisherigen Eindrücken kann Deutschland auf jeden Fall weit kommen. Das ist für mich schon ein wenig überraschend, denn Deutschland ha sich ja im Vorfeld der EM lange schwergetan und hat erst durch die beiden Testspielsiege im Frühjahr in Frankreich und gegen die Niederlande ein wenig Euphorie auf Fußball entfacht. Vorher hatte ich den Eindruck, dass die Fans gar nicht mehr an die Nationalmannschaft geglaubt haben und kaum Lust auf die EM hatten. Das ist jetzt natürlich ganz anders, die Stimmung im Land ist super.
Und wer holt den Pokal?
Tolino: Italien.
Oha, schon wieder?
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Tolino: Italien muss man immer auf dem Schirm haben. (lacht)
Wie kam es, dass du vor zwei Jahren nach Deutschland gewechselt bist. Vorher hast du ja ausschließlich in der Schweiz im Tor gestanden…
Tolino: Ich hatte bei meinen vorherigen Vereinen, dem FC Wil und dem FC Winterthur, leider wenig Spielzeit. Gut war das Training auf Profiniveau, aber irgendwann willst du einfach spielen, gerade in meinem Alter. Dann kam die Anfrage aus Rielasingen-Arlen, und ich habe gerne dort zugesagt.
War es schwer, mit erst 22 Jahren die Heimat – Familie und Freunde – hinter sich zu lassen?
Tolino: Natürlich war es nicht einfach, aber meine Eltern kommen fast zu jedem Spiel und auch viele Freunde sind häufig bei den Partien vor Ort. Es ist von Herisau, wo ich aufgewachsen bin und wo mein Bruder Cristian immer noch spielt, nicht so weit nach Rielasingen, maximal eine Stunde Fahrt.
Wie bewertest du das Niveau im höherklassigen deutschen Amateurfußball im Vergleich zu deinen vorherigen Stationen in der Schweiz, zum Beispiel in Winterthur?
Tolino: Ich war von dem hohen Niveau positiv überrascht. Als ich vor zwei Jahren zum 1. FC Rielasingen-Arlen gewechselt bin, haben wir noch in der Oberliga gespielt. Da hatten wir unter anderem die Stuttgarter Kickers als Gegner, die von der Ober- in die Regionalliga aufgestiegen und von dort auch fast direkt in die 3. Liga durchmarschiert sind. Die waren schon sehr stark, aber auch andere Mannschaften. Der Wechsel in eine deutsche Amateurliga war also für mich kein Schritt zurück, sondern im Gegenteil, er hat mich in meiner Entwicklung als Torwart nach vorne gebracht.
Die Schweiz hat eine gute Torwartschule, Nationalkeeper Yann Sommer hat in Gregor Kobel sehr starke Konkurrenz. Was macht die Schweiz so stark in Sachen Torhütern?
Tolino: Wir haben in der Schweiz eine sehr gute Ausbildung, speziell was das Torwartspiel betrifft. Viele Torhüter aus der Schweiz wechseln irgendwann in die besten Ligen in Europa und entwickeln sich dann dort weiter, manche auf internationales Topniveau. Aus der Bundesliga ist ja auch noch Diego Benaglio bekannt, mit ihm hat es angefangen, dass viele Top-Torhüter aus der Schweiz sich in Deutschland einen Namen gemacht haben.
Was zeichnet dein Torwartspiel aus?
Tolino: Ich würde mich auch als modernen Torhüter bezeichnen, der ganz gut am Ball ist und mitspielen will. Mein Vorbild war immer "Gigi" Buffon, aber ich finde auch Yann Sommer sehr stark. Bei ihm wird allerdings oft die für einen Torwart nicht ideale Körpergröße bemängelt, doch wer in der Serie A mit Inter Mailand solch eine Saison hinter sich hat, ist, glaube ich, über jede Kritik erhaben.
Bleibst du bei der "Talwiesen-Elf" oder hast du andere Pläne?
Tolino: Ja, ich bleibe. Ich hatte zwar nach unserem Abstieg vor einem Jahr einige Anfragen auch aus höheren Ligen, aber ich fühle mich in Rielasingen sehr wohl und möchte hier erst einmal weiter meinen Weg gehen.
Autor/-in: Günter Schneider