Winfried Schäfer hat die Welt gesehen. Begonnen hat alles beim TuS Mayen, später ist der heute 75-Jährige zum Weltenbummler geworden. Inzwischen ist er als Direktor Fußball und technischer Berater für die ghanaische Nationalmannschaft tätig und hat mit dieser gerade die Qualifikation für die WM 2026 geschafft. Gleichzeitig liegt ihm der Amateurfußball sehr am Herzen. Ein exklusives FUSSBALL.DE-Interview über den Fußball in der weiten Welt und vor der Haustür.
FUSSBALL.DE: Winfried Schäfer, wo erreichen wir Sie gerade?
Winfried Schäfer: Ich sitze aktuell in der Lobby in einem Hotel in der ghanaischen Hauptstadt Accra. Ich arbeite seit Anfang des Jahres für den ghanaischen Fußballverband und bin hier als Direktor und Berater der Nationalmannschaft tätig. Wir haben die Mannschaft gerade auf das letzte Qualifikationsspiel für die Weltmeisterschaft im kommenden Jahr in Kanada, Mexiko und den USA vorbereitet. Ich bin glücklich, dass wir das Ticket für das Turnier bereits gelöst haben.
In diesem Gespräch soll es um den Fußball in der weiten Welt aber auch direkt vor der Haustür gehen. Lassen Sie uns mit dem zweiten Aspekt starten. Welchen Stellenwert hat der Amateurfußball in Ihrem Leben?
Schäfer: Ich habe leider viel zu wenig Zeit, um regelmäßig zu den Spielen in meiner Heimat zu gehen. Aber der Amateurfußball ist extrem wichtig. Er ist die Basis für alles andere. Ohne den Amateurfußball gäbe es die Bundesliga und die Nationalmannschaft nicht. In diesem Zusammenhang muss man natürlich auch das großartige Engagement aller Ehrenamtlichen in den Vereinen hervorheben. Das kann man gar nicht genug loben.
Haben Sie selbst auch Erfahrungen im Amateurfußball gemacht?
Schäfer: Natürlich, mein erster Verein war der TuS Mayen. Erst habe ich mit meinen Freunden auf der Straße oder auf dem Schulhof gespielt. Die Tore haben wir mit Steinen gemacht. Und dann bin ich zum TuS Mayen gekommen. Das war eine großartige Zeit.
Wie war die Zeit damals?
Schäfer: Ich habe auf der Koblenzer Straße gewohnt. Wir Kinder, die dort gelebt haben, haben immer gegen die Kinder anderer Straßen gespielt. Das war die Zeit bevor ich in den Verein kam. Ich hatte damals knallrote Haare und war also nicht nur fußballerisch auffallend. Meine Vorbilder waren Toni Turek, Fritz Walter, Helmut Haller und weitere Spieler der Nationalmannschaft, die bei den Weltmeisterschaft 1954 und 1958 dabei waren.
Haben Sie einen Ihrer Helden auch mal kennengelernt?
Schäfer: Tatsächlich habe ich Toni Turek mal nach einem Freundschaftsspiel bei der TuS Mayen getroffen. Ich war damals zwölf Jahre alt. Er hat mir zwei Autogrammkarten gegeben. Eine habe ich in der Schule für 50 Pfennig verkauft. Davon konnte ich mir dann einen Fußball kaufen. Die andere habe ich in Ehren behalten. Danach war ich Feuer und Flamme für den Fußball und habe mich der TuS Mayen angeschlossen. Viele Talente aus der Region haben beim TuS gespielt. Auch dort war damals das Ehrenamt schon super wichtig. Ich weiß noch, dass uns ein Verantwortlicher des Vereins nachmittags mit dem Auto eingesammelt hat, damit wir zum Training kommen konnten. Und danach hat er uns wieder nach Hause gebracht. Und wissen Sie, was aus meiner Sicht das Wichtigste damals war?
Dass Sie nicht mehr auf Steine auf der Straße spielen mussten, sondern endlich Tore hatten…
Schäfer: Ja, das auch. Aber vor allem, dass wir einen Trainer hatten, für den es entscheidend war, dass wir Spaß am Fußball hatten. Wenn ich heute von Eltern gefragt werde, was das Wichtigste für die Kinder beim Fußball ist, dann antworte ich immer, dass die Jungs oder Mädchen Spaß am Kicken haben müssen. Wenn sie sich abends nach dem Training schon auf die nächste Einheit freuen, ist alles gut. Das ist für mich Amateurfußball. Spaß am Fußball, Spaß an der Gemeinschaft. Das war früher schon so, und das ist auch heute noch so.
Nach der TuS Mayen ging es für Sie dann in den Profifußball zu Borussia Mönchengladbach.
Schäfer: Ich weiß noch, dass wir mit einer Verbandsauswahl gegen die Reserve von Borussia Mönchengladbach gespielt haben. Dort war damals Hennes Weisweiler der Trainer, der sich die Begegnung auch angeschaut hat. Ich habe zunächst auf der Bank gesessen, bin dann zur zweiten Halbzeit reingekommen und habe beide Tore zum 2:2 gemacht. Man muss im richtigen Moment auch mal Glück haben, das hatte ich an diesem Tag. Hennes Weisweiler hat mich dann zum Probetraining nach Mönchengladbach eingeladen und ich habe mich durchgesetzt. Aber auch da gibt es eine nette Anekdote. Haben wir noch etwas Platz dafür?
Erzählen Sie.
Schäfer: Ich kam zum Training und wir haben mit dem klassischen Fünf gegen Zwei begonnen, das alle kennen. Ich als Neuling und junger Typ musste natürlich als Erster in die Mitte. Da habe ich mir direkt mal zwei Beinschüsse eingefangen. Einen von Berti Vogts und einen von Günter Netzer. Das war auch die letzten beiden Beinschüsse meiner Karriere. Insgesamt habe ich es wohl ganz gut gemacht. Weisweiler hat nachher gesagt: „Den Roten will ich haben“.
Sie haben 403 Bundesligaspiele gemacht. Aber wirklich bekannt geworden sind Sie vor allem als Trainer beim Karlsruher SC, wo sie unter anderem Oliver Kahn entdeckt haben. Unvergessen auch das 7:0 im Europapokal gegen den FC Valencia, das in die Geschichte als "Wunder vom Wildpark" einging.
Schäfer: Moment, Moment, nicht so schnell. Ich habe vorher schon etwas als Trainer gearbeitet. Ich habe mit 33 Jahren meine Karriere nach einem Achillessehnenriss bei Borussia Mönchengladbach beendet. Währenddessen hatte ich bereits einen Amateurverein dort trainiert, heute heißt der Verein SC Victoria Mennrath und spielt in der Landesliga. Damals sind wir aus der A-Klasse in die Bezirksliga aufgestiegen. Dort habe ich erste Erfahrungen in diesem Bereich sammeln können. Das war sehr wichtig für mich.
Und dann ging es aber wirklich zu KSC.
Schäfer: Ja, jetzt kommen wir zum Karlsruher SC. Eine großartige Zeit mit großartigen Fußballern. Ich hatte tolle Trainer während meiner Karriere von denen ich mir einiges abgeschaut habe: Udo Lattek, Hennes Weisweiler, Rudi Gutendorf, Aki Schmidt, Kuno Klötzer, Otto Rehhagel, Jupp Heynckes und viele mehr. Das Problem beim KSC war damals, dass wir kein Geld hatten, um Spieler zu verpflichten. Ich musste also zwangsweise auf den eigenen Nachwuchs setzen. Ich stand dann immer sonntagsmorgens um zehn Uhr an Platz zwei, wo unsere zweite Mannschaft und die A-Jugend gespielt haben. Die Rentner haben sich über meine Anwesenheit gefreut. Wir hatten einige harte Diskussionen zu unserem Spiel am Tag zuvor…
Und da haben Sie dann Spieler wie Michael Sternkopf, Mehmet Scholl, Jens Nowotny und Oliver Kahn entdeckt?
Schäfer: Ja, genau dort. Ich habe immer gesagt, dass Platz zwei unsere Sparkasse ist. Mit den Spielern, die von dort kommen, können wir Geld machen.
Und sehr erfolgreichen Fußball spielen…
Schäfer: Nur so konnten wir überleben. Wir waren damals in der 2. Bundesliga. Und dann habe ich was sehr Gefährliches gemacht. Ich habe gesagt, dass wir aufsteigen wollen.
Was ja auch geklappt hat.
Schäfer: Aber die Vorrunde war eine Katastrophe. Im Winter waren wir Achter. In der Rückserie haben wir nur noch ein Spiel verloren. In dieser Zeit haben wir das Team aufgebaut, das dann alle begeistert hat. Wir waren deshalb erfolgreich, weil alle zusammengehalten haben. Das ist beim Fußball auf der Straße auch so: Zusammenhalt ist wichtiger als individuelle Qualität.
Jetzt müssen Sie aber wirklich mal sagen, wie die Zusammenarbeit mit Oliver Kahn war.
Schäfer: Um das zu verstehen, reicht eine Geschichte: Das zweite Spiel, in dem er als junger Kerl bei uns im Tor stand, haben wir 0:4 verloren. Kahn war unfassbar sauer, obwohl er keine Schuld an den Toren hatte. Ich habe ihm gesagt, dass er am nächsten Samstag natürlich wieder spielen wird und dass er meine volle Unterstützung habe. Aber ich habe ihm auch gesagt, dass er seinen Vorderleuten klar machen muss, dass sie gefälligst die Flanken in den Strafraum zu verhindern haben und dass die Gegner nicht frei zum Abschluss kommen dürfen. Und das hat er dann gemacht – in seiner unnachahmlichen Art. Im nächsten Spiel sind keine Flanken mehr in unseren Strafraum gesegelt. Kahn war der absolute Chef unserer Defensive. Ein unglaublicher Typ und später der beste Torwart der Welt.
Sie haben unter anderem in Jamaika, Kamerun, Thailand, Iran, Dubai und Aserbaidschan gearbeitet. Sie haben die Welt gesehen. Nun sind Sie in Ghana angekommen. Wie erleben Sie die Zeit dort?
Schäfer: Ghana ist ein totales Fußballland. Wenn wir gewinnen, sind die Spieler Helden. Wenn wir verlieren, kann es ungemütlich werden. Für meinen Geschmack lebt der ghanaische Fußball noch zu viel von den Erfolgen in der Vergangenheit mit großen Spielern wie Tony Yeboah, Asamoah Gyan oder Abedi Pele. Wir sollten mehr in der Gegenwart leben. Denn auch heute hat das Land sehr viel Potenzial.
Was ist möglich bei der WM im kommenden Jahr?
Schäfer: Otto Addo, den viele noch aus seiner Zeit in Deutschland kennen dürften, ist hier Nationaltrainer. Er hat die Mannschaft zur WM geführt. Das ist eine tolle Leistung, weil Ghana vorher die Qualifikation für den Afrika-Cup nicht geschafft hatte. Ich bin selbst gespannt, was bei dem Turnier im kommenden Jahr möglich sein wird. Es gibt viele große Talente hier, einige spielen schon in Europa.
Sie sind seit Jahren in der ganzen Welt unterwegs. Was ist für Sie eigentlich Heimat?
Schäfer: Da, wo meine Familie ist. Aber da bin ich selten. Ich bin 75 Jahre alt. Aber ich bin nicht der Typ, der zuhause rumsitzt, am Wochenende mal zum KSC geht und sich um den Garten kümmert. Das ist nicht mein Leben. Ich muss raus in die Welt und arbeiten. Das macht mir Spaß.
Autor/-in: Martin Schwartz