Als Profi und Trainer war Wolfgang Wolf (62) viele Jahre in der Bundesliga aktiv. In seiner Doppelfunktion als Cheftrainer und Sportdirektor führte er jetzt den 1. FC Lok Leipzig zur Meisterschaft in der Regionalliga Nordost, blieb unbesiegt. Als "Krönung" soll der Sprung in die 3. Liga folgen. Im FUSSBALL.DE-Interview spricht Wolf über den Titelgewinn, die Aufstiegsspiele und die Perspektiven.
FUSSBALL.DE: Seit wenigen Tagen steht der 1. FC Lok Leipzig als Meister der Regionalliga Nordost fest. Gab es eine spontane Feier mit Abstand, Herr Wolf?
Wolfgang Wolf: Nein, denn ich hatte die Jungs bewusst über das Wochenende nach Hause geschickt, damit sie sich ein wenig ablenken und erholen konnten. Als die Nachricht des Verbandes kam, habe ich dem Team jedoch zur verdienten Meisterschaft gratuliert.
Es ist außergewöhnliche Zeiten. Sie haben im Fußball schon viel erlebt. Welche Emotionen löste die Nachricht bei Ihnen persönlich aus?
"Die Fans merken, dass der Verein nach oben will und auf einem guten Weg ist".
Wolf: Klar, ich habe mich auch gefreut. Mit dem Gewinn einer Meisterschaft nach 34 Spieltagen, noch dazu in einem wohl ausverkauften Stadion, lässt sich das aber nicht vergleichen. Der Fußball ist durch die Corona-Krise zurecht in den Hintergrund getreten. Zu Beginn hatte wohl niemand mit diesem Ausmaß und dieser Dauer gerechnet. Wir müssen die Situation jetzt aber so annehmen, wie sie ist, und das Beste daraus machen. Auch wenn wir es uns alle sicherlich etwas anders vorgestellt hatten.
In den vergangenen Wochen gab es einige Diskussionen, wie die Saison in der Regionalliga Nordost gewertet werden und welcher Klub die Aufstiegsspiele bestreiten sollte. Können Sie das "Zähneknirschen" bei der Konkurrenz nachvollziehen?
Wolf: Im Fall der VSG Altglienicke , die wegen der besseren Tordifferenz Tabellenführer war, aber ein Spiel mehr ausgetragen hatte als wir, kann ich das schon verstehen. Beide Teams haben sich einen großen Kampf geliefert und wären am letzten Spieltag auch noch in Leipzig aufeinandergetroffen. Beim FC Energie Cottbus , der bei einem Spiel mehr zwei Punkte hinter uns lag, habe ich dafür weniger Verständnis, zumal uns im Laufe der Saison auch noch vier Zähler aus den beiden Spielen gegen Rot-Weiß Erfurt abgezogen worden waren. Aber wie auch immer: Als entscheidendes Kriterium den Punktequotienten heranzuziehen, halte ich für die fairste Lösung, wenn eine sportliche Entscheidung auf dem Platz nicht möglich ist. Es kommt ja nicht von ungefähr, dass die UEFA diesen Vorschlag gemacht hatte und auch viele andere Sportarten so verfahren.
Seit Sie im Oktober neben Ihrem Job als Sportdirektor auch noch das Traineramt übernommen hatten, gab es keine einzige Niederlage. Es sprangen in der Liga acht Siege und fünf Remis heraus. Dazu gelang der Einzug in das Halbfinale des Verbandspokals. Was zeichnet das Team aus?
Wolf: Wir hatten in dieser Saison in der Nordost-Staffel vielleicht nicht die besten Einzelspieler, aber das beste Team. Die Mannschaft verfügt über einen ausgezeichneten Charakter, hält immer zusammen und gibt nicht auf, bevor der Abpfiff ertönt. Deshalb sind wir für jeden Verein ein unangenehmer Gegner. Alle Facetten, die für den Erfolg in der Regionalliga notwendig sind, bringen unsere Jungs mit.
Die genauen Termine für die Aufstiegsspiele zur 3. Liga stehen noch nicht endgültig fest. Gleiches gilt auch für den Gegner aus der Regionalliga West. Wie werden Sie sich mit dem Team vorbereiten?
Wolf: Vorbehaltlich der noch ausstehenden Verbandsentscheidungen gehen wir davon aus, dass wir auf den SC Verl treffen werden, der sich aktuell in etwa auf dem gleichen Trainingsstand befindet wie wir. Bisher ist bei uns nur Kleingruppen-Training ohne Körperkontakt möglich. Wir arbeiten jetzt intensiv daran, die Vorgaben des DFB-Hygienekonzepts zu erfüllen, um möglichst bald in das Mannschaftstraining einsteigen zu können. Wir müssen dafür zunächst einen Hygiene-Beauftragten benennen und zwei Testreihen auf das Coronavirus durchführen. Genau wie die Profiklubs werden wir dann sieben Tage vor dem ersten Aufstiegsspiel ein Quarantäne-Hotel beziehen.
Wie schätzen Sie die Bedingungen für die Aufstiegsspiele ein?
Wolf: Es ist gerade für den 1. FC Lok Leipzig als Traditionsverein schwer verdaulich, solche Spiele ohne Zuschauer bestreiten zu müssen. Aber es geht im Moment nicht anders, also stellen wir uns darauf ein. Die Spiele sollen nach unserer Kenntnis live übertragen werden, so dass unsere Fans zumindest so dabei sein können. Sportlich werden die Partien ohne Zuschauer fast die Atmosphäre von Trainingsspielen haben. Nach einer so langen Pause ohne Pflichtspiele wird nicht unbedingt das bessere, sondern eher das glücklichere Team die Oberhand behalten. Diese Situation hat sich aber niemand gewünscht, daran konnte auch niemand etwas ändern. Wir werden auf jeden Fall alles unternehmen, um bestmöglich vorbereitet zu sein. Was am Ende dabei herauskommt, wird man sehen.
Was würde der Aufstieg in die 3. Liga für den Verein bedeuten?
Wolf: Es wäre der nächste Schritt für den Verein und eine Belohnung für die Verantwortlichen, die seit Jahren eine kontinuierliche Aufbauarbeit betreiben. Wir kämen in den Profifußball, könnten im Gegensatz zur Regionalliga auch wieder TV-Gelder einplanen.
Ist der 1. FC Lok Leipzig für den Profifußball gerüstet?
Wolf: Definitiv, auch wenn alles ein wenig in die Jahre gekommen ist. Trainingsgelände und Kabinen sind jedoch erstklassig, am Stadion wird kontinuierlich gearbeitet. Was die Strukturen und das Umfeld angeht, fehlt es an nichts.
Hinzu kommen die treuen Fans. Nach der Saisonunterbrechung sorgte der 1. FC Lok durch die herausragende Unterstützung seiner Anhänger bundesweit für Schlagzeilen. Das virtuelle Spiel gegen den "Unsichtbaren Gegner" brachte eine Spendensumme von mehr als 180.000 Euro. Welche Worte finden Sie dafür?
Wolf: Besonders eindrucksvoll für mich war, dass aus der gesamten Welt Gelder eingingen. Das zeigt, über welche Strahlkraft der Verein verfügt. Die Historie des 1. FC Lok ist in jeglicher Hinsicht bemerkenswert und erinnert mich an meine Anfangszeit in Kaiserslautern. Damals zählte noch ein Handschlag, der Rasen roch nach Fußball. Das ist jetzt bei Lok Leipzig nach wie vor so. Das gefällt mir. Die Fans merken, dass der Verein nach oben will und auf einem guten Weg ist. Deshalb unterstützen sie Lok mit großem Engagement.
Sie hatten zunächst "nur" als Sportdirektor in Leipzig angefangen. Ihr Trainerengagement war nicht geplant. Warum haben Sie Ihre Meinung geändert?
Wolf: Der Trainerjob ist mir durch den Rücktritt von Björn Joppe, der die Lage im Herbst offenbar falsch eingeschätzt hatte, quasi auf die Füße gefallen. In dieser Situation konnte ich nicht Nein sagen. Schließlich hatte selbst mein Sohn Patrick, der ja schon länger für Lok Leipzig spielt, mich gebeten, die Mannschaft zu übernehmen. Dabei weiß er ja, dass gerade er es bei mir nicht leicht hat. (lacht)
Belastet die sportliche Zusammenarbeit denn die Vater-Sohn-Beziehung?
Wolf: Auf keinen Fall, sonst würde ich es auch nicht machen. Wir können das gut trennen. Klar ist, dass die Zusammenarbeit unter diesen Bedingungen nur dann funktioniert, wenn man ein sehr gutes Verhältnis pflegt - und zwar weit über den Fußball hinaus.
Sind Sie denn jetzt wieder auf den Geschmack gekommen oder ist es ausgeschlossen, dass Sie auch als Trainer weitermachen?
Wolf: Ich bin damals mit den Stuttgarter Kickers in die 2. Bundesliga aufgestiegen, mit dem 1. FC Nürnberg in die Bundesliga. Von daher wäre es eigentlich perfekt, zum Abschluss mit Lok Leipzig in die 3. Liga aufzusteigen. Ich habe zwar gelernt, dass man im Fußball gar nichts ausschließen sollte. Aktuell bin ich aber auch auf der Suche nach einem passenden Trainer, der das Team in der nächsten Saison führen soll.
Wie würden Sie das Profil des gesuchten Cheftrainers beschreiben?
Wolf: Eines kann ich auf jeden Fall sagen: Nicht jeder Trainer passt zu Lok Leipzig. Da sind schon spezielle Eigenschaften gefragt. Auf jeden Fall braucht man ein dickes Fell und ein Gespür dafür, wie die Leute in einem solchen Traditionsklub ticken. Deshalb habe ich schon mit zahlreichen Trainern gesprochen, werde mir aber bei der Entscheidung noch Zeit lassen. Schließlich sind mit Blick auf die neue Saison neben der Ligazugehörigkeit viele weitere Fragen offen: Wann geht es überhaupt los? Ab wann kann wieder mit Zuschauern gespielt werden? Welches Budget steht uns zur Verfügung? Welche Spieler sind nach der Corona-Krise bereit, Abstriche zu machen? Da kommt einiges an Arbeit auf uns zu.
Autor/-in: Ralf Debat/mspw