Als seine Frau die Zeitungslektüre mit einem breiten Grinsen beendete, wusste Paul Esser (54), dass er seinem Interviewpartner wohl etwas zu spontan geantwortet hatte. Der Montag sei ihm heilig, hatte der Trainer von Mittelrheinliga-Klub Germania Erftstadt dem Journalisten gesagt, und damit gemeint, dass er seine Freizeit an diesem einen Wochentag stets fernab des geliebten Fußballklubs mit seiner Familie verbringe.
Doch mit ein bisschen Abstand und dank des sanften Hinweises seiner Frau musste der Coach eingestehen, dass es mit dem fußballfreien Wochenstart eher selten klappt. Vorstandssitzungen, Treffen mit seinen Co-Trainern, Gespräche mit Spielern - irgendwas ist fast immer zu erledigen. Auch am trainingsfreien Montag. Die Gattin des Trainers nimmt es mit Humor und Gelassenheit. Und das nicht erst seit gestern. Ihr Mann verbringt seit Jahrzehnten einen beträchtlichen Teil seiner Freizeit mit Fußball. Ohne geht es nicht.
"Ich habe zu lange gespielt"
Anfang der 80er Jahre wäre das Hobby beinahe zum Beruf geworden. Doch das Engagement des seinerzeit 22-Jährigen beim damaligen Drittligisten Viktoria Köln platzte im letzten Moment. Esser hatte sich einen Fußbruch zugezogen, stand vor einer mehrmonatigen Pause und war dadurch uninteressant geworden für den Klub aus der Rheinmetropole. Ein Traum war geplatzt. Doch Esser steckte den Rückschlag weg. Er zog Plan B. Und der führte ihn hinunter in die Kreisliga B statt nach oben in den semiprofessionellen Bereich. Esser hatte sich überreden lassen, Spielertrainer zu werden. Mit 23. In der Provinz. Beim VfB Erftstadt.
Mehr als 30 Jahre ist das nun her. Esser hat die Entscheidung nie bereut. Denn sie hat ihn zu dem gemacht, was er heute ist. „Paul ist der Verein“, sagt Bastian Schmoll, der Mannschaftskapitän von Germania Erftstadt - so heißt der besagte Verein heute. In Sachen Fußballsport ist Schmolls Klub gewissermaßen der Nach-Nachfolger des VfB Erftstadt. 2001 machten sich die Senioren-Fußballer als FC Erftstadt selbstständig, ehe es 2012 zur Fusion des FC mit dem SC Germania Lechenich kam.
Von der Kreisliga in die 5. Liga
Die Beflockung der Trikots hat sich also in den letzten Jahren geändert. Doch Esser war immer da. Oder besser gesagt, fast immer. Von 1989 bis 1992 heuerte er wenige Kilometer weiter beim BSV Wissersheim als Spielertrainer an und feierte dort gemeinsam mit dreien seiner Brüder den Bezirksliga-Aufstieg. Dann folgten die Rückkehr nach Erftstadt und noch rund ein Jahrzehnt in der Doppelfunktion als Coach und Spieler.
Erst mit 42 war Schluss mit dem aktiven Fußball. Zu spät, wie der Verkaufsleiter eines Herstellers von Bodenbelägen heute sagt. „Ich habe zu lange gespielt“, erklärt der 54-Jährige. „Vom Kopf her fühle ich mich zwar noch so, als könne ich jederzeit wieder mitspielen, aber der Körper sagt was anderes.“ An der Hüfte wurde er schon operiert und seit geraumer Zeit schmerzen auch die Knie. Doch die Wehwehchen halten den gebürtigen Gymnicher natürlich nicht davon ab, als Trainer zu arbeiten.
Wobei die Bezeichnung Trainer in seinem Falle sicherlich zu kurz gegriffen ist. Esser ist Coach, Manager, Kummerkasten, Organisator beim SC Germania. Und für die Baustellen, die er nicht selber bearbeiten kann, gewinnt er einen Freund, Verwandten oder Bekannten. Genau das meint Schmoll, wenn er sagt, Esser sei der Verein.
Der Mittelfeldspieler muss es wissen. Vor über acht Jahren war es Esser, der ihn davon überzeugte, von Rheinbach nach Erftstadt zu wechseln. Seit nunmehr sechs Jahren ist Schmoll Teamkapitän – ernannt von Esser.
„Inzwischen verbindet uns eine Freundschaft“, sagt Schmoll, der an seinem Trainer vor allem dessen fairen Umgang mit den Spielern schätzt. „Er feiert schon mit uns, aber er behält immer einen klaren Kopf und wahrt eine gewisse Distanz. Deshalb kennt er auch keinen Unterschied zwischen Etablierten und Neulingen. Jeder bekommt die gleiche Chance, so lange er sich voll für das Team einsetzt“, erklärt Schmoll. Diese Tugend sowie ein ausgeprägter Sinn für Kameradschaft bilden auch die Grundlage für Essers Erfolg als Trainer. Immerhin führte der glühende Bayern-Fan Erftstadt trotz zwischenzeitlicher Rückschläge von der Kreisliga in die Fünftklassigkeit.
Eine A-Jugend aus dem Nichts
Wer den Konradsheimer in seiner emotionalen Art in der Coachingzone erlebt, weiß, dass noch jede Menge Energie für weitere Taten vorhanden ist. Auf und abseits des Platzes. Gerade erst hat er eine 18-köpfige A-Jugend um seinen Sohn Dustin (17) ins Leben gerufen und damit eine Lücke in der Nachwuchsarbeit seines Klubs gestopft. „Aus dem Nichts“, wie Esser betont.
Mit der ersten Mannschaft soll erneut der Klassenerhalt gelingen und dann sollen nach der Kunstrasenanlage auch noch ein Vereinsheim und eine Zuschauertribüne entstehen. „2016 dürfte das alles fertiggestellt sein“, sagt Esser, der beteuert, dass ihn diese Projekte und der ständige Umgang mit den Spielern nicht vorschnell altern lassen, sondern jung halten. Zudem habe er seit der Fusion einige äußerst engagierte Mitstreiter unter Klubverantwortlichen.
Die Zeit für Entspannung ist trotzdem rar. „Wenn ich mit meiner Frau unsere beiden Dackel Mandy und Bonny ausführe, kann ich mal durchatmen. Das muss reichen“, sagt Esser. Bei so viel Ausgleich wird er den ein oder anderen fußballfreien Montag sicherlich gerne noch opfern.