Azaouagh in der 5. Liga: "Kein Rückschritt"

Aus der 1. in die 5. Liga: Nach eineinhalb Jahren Fußball-Pause startet der frühere deutsche U 21-Nationalspieler Mimoun Azaouagh (33), der einst unter anderem für Mainz 05, Schalke 04, den VfL Bochum und den 1. FC Kaiserslautern am Ball war, ab Januar in der Hessenliga einen Neuanfang. Mit dem abstiegsbedrohten SC Hessen Dreieich, der erst vor wenigen Tagen ehemalige Frankfurter Bundesliga-Größen wie Karl-Heinz Körbel (Sport-Vorstand), Rudi Bommer (Trainer) und Ralf Weber (Co-Trainer) verpflichtet hatte, soll der technisch beschlagene Mittelfeldspieler nach der Winterpause zunächst den Klassenverbleib perfekt machen - und dann in den nächsten Jahren nach oben durchstarten.

Im aktuellen FUSSBALL.DE -Interview spricht Mimoun Azaouagh über seine lange Pause, das ehrgeizige Projekt in Dreieich, Salafismus-Vorwürfe der Medien und über seinen Vater Mohamed, der beim Zweitligisten FSV Frankfurt seit vielen Jahren als Zeugwart arbeitet.

FUSSBALL.DE: Sie haben fast 200 Spiele in der 1. und 2. Bundesliga bestritten. Wie kam es jetzt zu dem Wechsel zu einem Oberligisten, Herr Azaouagh?

Mimoun Azaouagh: Der Kontakt kam durch Antonio Abbruzzese zustande, den ich schon seit vielen Jahren aus dem Fußballgeschäft kenne. Er hat es geschafft, mein Interesse zu wecken. Schon beim ersten Termin mit den sportlich Verantwortlichen des SC Hessen Dreieich hat mich das Konzept des Vereins überzeugt.

"Ich distanziere mich entschieden von den Vorwürfen. Natürlich trifft es einen sehr, wenn Unwahrheiten in der Öffentlichkeit verbreitet werden"

Nach ihrem letzten Profi-Engagement beim 1. FC Kaiserslautern war es still um Sie geworden. Fast eineinhalb Jahre waren Sie - zumindest im Fußball - von der Bildfläche verschwunden. Wie haben Sie sich während dieser Zeit fit gehalten?

Azaouagh: Ich bin ein Sportfreak. Anderthalb Jahre keinen Sport zu treiben, war für mich unmöglich. Daher bin ich regelmäßig laufen gegangen, war im Fitnessstudio und habe mich zuletzt bei einem Verein in unserer Region, mit dessen Trainer ich befreundet bin, fit gehalten.

Glauben Sie, dass der Wechsel in die Hessenliga als sportlicher Rückschritt bewertet wird?

Azaouagh: Nein. Wenn ich das glauben würde, dann wäre ich diesen Schritt nicht gegangen. Wenn man weiß, welche Ziele der Verein erreichen möchte, dann ist das eine Herausforderung. Und ich liebe Herausforderungen.

Ist das Engagement für Sie ein Neustart ihrer Fußballerkarriere? Oder haben sich die Prioritäten in beruflicher und familiärer Hinsicht bereits verschoben?

Azaouagh: Ich sehe es als ein Projekt an, das auch über meine Karriere als Spieler hinaus weitergehen könnte.

Welche Ziele verfolgen Sie mit dem Aufsteiger SC Hessen Dreieich?

Azaouagh: Wir haben sehr ehrgeizige Ziele für die Zukunft. Jedoch gilt es nach der Winterpause erst einmal, in der Liga zu bleiben. Wir wollen einen Schritt nach dem anderen machen.

Mit Sport-Vorstand Karl-Heinz Körbel, dem neuen Trainer Rudi Bommer sowie Assistent Ralf Weber hat sich Ihr neuer Verein enorme sportliche Kompetenz ins Haus geholt. Weitere ehemalige Profi-Größen sollen folgen. Wie sehr hat das Ihre Entscheidung beeinflusst?

Azaouagh: Ich wurde in erster Linie von dem Projekt überzeugt und nicht durch bekannte Namen. Dennoch freue ich mich sehr auf die Zusammenarbeit mit diesen Persönlichkeiten.

Anfang des Jahres waren Sie abseits des Fußballs in die Schlagzeilen geraten. Es wurde unter anderem behauptet, Sie stünden der Salafisten-Szene nah. Sie haben der Berichterstattung erst einige Monate später widersprochen. Wie sehr haben Sie diese Schlagzeilen getroffen?

Azaouagh: Ich distanziere mich entschieden von den Vorwürfen. Natürlich trifft es einen sehr, wenn Unwahrheiten in der Öffentlichkeit verbreitet werden. Für mich ist das Thema aber erledigt, es gibt nichts weiter dazu zu sagen. Mein Blick geht einzig und allein in Richtung Zukunft. Meine Konzentration gilt ab Januar voll und ganz dem SC Hessen Dreieich.

Glauben Sie, dass die negative Berichterstattung auch Ihrer Karriere geschadet hat?

Azaouagh: Das ist schwer zu sagen. Aber letzten Endes ist das Vergangenheit. Jetzt gilt es, nach vorne zu schauen und mich ganz meinen neuen Aufgaben zu widmen.

Zurück zum Sport: Zwischen 2003 und 2004 haben Sie sechsmal für die deutsche U 21-Nationalmannschaft gespielt. Warum haben Sie sich fünf Jahre später dazu entschlossen, für die Nationalmannschaft von Marokko spielen zu wollen?

Azaouagh: Weil die Perspektiven für mich persönlich und für meine sportliche Entwicklung aussichtsreicher waren.

Bereuen Sie den Schritt im Nachhinein? Schließlich haben Sie für das Land, in dem Sie geboren wurden, nie ein Spiel bestritten!

Azaouagh: Nein, ich bereue meine Entscheidung nicht. Es gab nur einen Grund, weswegen ich nicht für Marokko spielen konnte: Verletzungen. Ich wurde mehrfach von der Nationalmannschaft eingeladen und musste aber leider immer verletzungsbedingt absagen.

Mit 33 Jahren haben Sie sowohl die Glanz- als auch die Schattenseiten des Fußballs kennengelernt. Was waren Ihre schönsten Erlebnisse als Fußballprofi?

Azaouagh: Ich hatte während meiner Profikarriere überall sowohl schöne als auch nicht so schöne Zeiten. Der Aufstieg mit Mainz 05 in die Bundesliga war aber eines der Erlebnisse, das ich so schnell nicht vergessen werde. Auch in Bochum hatte ich die eine oder andere sehr erfolgreiche Phase.

Was würden Sie aus heutiger Sicht anders machen? Hätten Sie wegen Ihrer fußballerischen Qualitäten nicht locker noch einige Jahre länger auf höchstem Niveau spielen können?

Azaouagh: Ich hätte mit Sicherheit das eine oder andere Jahr noch auf höchstem Niveau spielen können. Im Fußball spielen aber viele Faktoren eine Rolle, zum Beispiel die Verletzungsfreiheit. Das war bei mir leider einer der Gründe dafür, weshalb ich nicht mehr in der Bundesliga spielen konnte beziehungsweise kann.

Wie sieht Ihre weitere Lebensplanung aus? Hat Ihr neuer Verein Ihnen auch über den Fußball hinaus ein berufliches Angebot unterbreitet?

Azaouagh: Momentan bin ich gerade dabei, meine Trainerlizenz zu erwerben. Wie schon gesagt wird es beim SC Hessen Dreieich auch nach meiner aktiven Laufbahn als Fußballer noch viele andere Möglichkeiten geben, um mich einbringen zu können.

Ihre Karriere hat beim FSV Frankfurt begonnen und wird voraussichtlich auch in Ihrer alten Heimat ausklingen. Was verbinden Sie mit dieser Region?

Azaouagh: Mich verbindet hier viel: Meine Familie, meine Freunde und auch der Bäcker um die Ecke (lacht) .

Ihr Vater Mohamed war beim FSV als Zeugwart angestellt. Ist er immer noch in dieser Funktion tätig? Wie groß war sein Einfluss auf Ihre spätere Fußballer-Karriere?

Azaouagh: Mein Vater ist immer noch beim FSV angestellt. Ich glaube, er ist der beste Zeugwart, den der Verein je hatte und haben wird! Er hat mich in jeder Hinsicht unterstützt, stand immer voll hinter mir und tut das immer noch. Die familiäre Unterstützung ist sehr wichtig für mich.

Welchen seiner Ratschläge befolgen Sie immer noch?

Azaouagh: Ein Ratschlag, den ich nie vergessen werde und der mich durch mein Leben begleitet, ist: „Nicht jeder ist in Wahrheit auch so, wie er vorgibt zu sein“.