SV Spellen: "Echte Mädchen spielen Fußball"
Der SV Spellen engagiert sich in besonderem Maße sozial – vor allem im Mädchen- und Frauenfußball. Dafür wurde der Klub beim DFB-Punktespiel mit dem Gold-Status ausgezeichnet.
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Mit dem Gewinn des WFV-Pokals hat der SSV Reutlingen seine Anhänger im Sommer für tristes Oberliga-Mittelmaß entschädigt - natürlich auch zur Freude von Edelfan Michael Behrendt (rechts). Der Einzug in den DFB-Pokal versüßte das Ganze. [Foto: Michael Behrendt]
Michael Behrendt (38) lebt in Dithmarschen, gut 80 Kilometer nördlich von Hamburg, doch sein Herz gehört dem baden-württembergischen Traditionsverein SSV Reutlingen. Regelmäßig macht sich der Journalist in seiner Freizeit auf den Weg quer durch die Republik, um Oberliga-Fußball in seiner schwäbischen Heimat zu erleben. Hin und wieder beschert ihm sein LieblingsKlub aus der 5. Liga auch Festtage. Gestern war so einer. Für FUSSBALL.DE hat Behrendt mal aufgeschrieben, wie es so ist als Edelfan eines Oberligisten.
Mit hängendem Kopf schlurft Markus Kauczinski durch die Katakomben des Reutlinger Kreuzeichestadions. Es ist der 8. August, 22.19 Uhr, und soeben hat sein KSC eine kräftige Abreibung vom drei Klassen niedriger angesiedelten SSV Reutlingen bekommen. Mit 1:3 beim Oberligisten unterzugehen, das hatte Kauczinski ganz offensichtlich nicht auf dem Zettel. Drei Elfmetertore, dazu noch vier Platzverweise – einen davon für sich selbst. Coach und Team haben einmal mehr einen gebrauchten Tag erwischt.
"Ach, Oberliga spielen die jetzt?"
Ich merke, wie die Freude über den Sensationssieg meiner Kreuzeiche-Kicker etwas Mitgefühlähnlichem weicht. Das ist gleich in doppelter Hinsicht ungewöhnlich: Zum einen ist mir als gebürtigem Württemberger nur Weniges noch unsympathischer als Fußballklubs aus Baden, zum anderen hatten mir Kauczinski und seine Truppe 69 Tage zuvor die schlimmsten zwölf Minuten meines Fandaseins beschert.
800 Kilometer trennen mich von meiner großen Fußball-Leidenschaft. Als Elfjähriger war ich 1988 aus Reutlingen weggezogen, hoch nach Schleswig-Holstein, Nordseeküste statt Schwäbische Alb. Mit dem SSV hatte ich damals als Bub nicht viel am Hut. In dessen Jugendabteilung landeten die talentierten Nachwuchskicker aus der Region. Ich schnürte derweil beim Vorortverein TSV Altenburg meine Kickstiefel – mit eher limitiertem Talent. Entsprechend unsympathisch waren mir die, die es zum SSV geschafft hatten. Und der Verein gleich mit. Mit meinem Umzug hatte es sich dann auch mit dem Fußball erledigt.
Dann stieg der SSV in die 2. Bundesliga auf. Plötzlich war der Verein aus meiner Heimat bundesweit präsent. Reutlingen auf DSF! Ich war Fan geworden. Und mir reichte es nicht, nur vor dem Fernseher mitzufiebern. Hannover, Lübeck, natürlich Pauli – wann immer die 05er im Norden spielten, ich war dabei.
Die Reutlinger Zweitliga-Geschichte ist schnell erzählt. Doch anders als viele anderen, die sich nach dem Absturz abwandten, blieb ich dem Verein treu. So oft wie möglich versuche ich, Spiele des SSV Reutlingen zu besuchen. Das heißt dann: In aller Herrgottsfrüh mit dem Auto oder Regionalzug nach Hamburg fahren, dort in den ICE steigen und zur Mittagszeit in Reutlingen sein. Meist bleibt keine Zeit, mich noch in der Stadt umzusehen, in der ich einst aufwuchs. Stattdessen: Schnell hinein in den Bus und ab an die Kreuzeiche. Ebenso zügig heißt es nach dem Abpfiff auch, wieder aufzubrechen gen Nordsee, um irgendwann nachts um 2 oder 3 Uhr wieder ins heimische Bett zu fallen.
Unterwegs im Zug begegnen sie mir dann regelmäßig, die Auswärts- und nicht selten Allesfahrer der großen Bundesliga-Klubs. Mit meinem Reutlingen-Jersey bin ich Exot, daran habe ich mich gewöhnt. „Ach, Oberliga spielen die jetzt?“ heißt es dann meist mitleidig, wenn man mit jenen Leuten ins Gespräch kommt. „Und Du fährst da jetzt zum Heimspiel hin? Gegen wen? Nie gehört.“
Auf sechs bis acht Spiele im Jahr komme ich im Schnitt, in mancher Spielzeit auch ein paar mehr. Und doch: viel zu selten für meinen Geschmack. Um irgendwie klarzukommen, habe ich mir vor einiger Zeit eine Ersatzdroge zugelegt, eine, die nur 80 statt 800 Kilometer von meinem Zuhause entfernt liegt, greifbarer ist im Wortsinne. Auch der Hamburger SV ist ein Klub, bei dem man Leidensfähigkeit mitbringen muss. Ich gebe zu: Ich brauche das Drama.
Es ist der Abend des 1. Juni, als ich erstmals an mir und meiner Leidensfähigkeit zweifle. 20:34 Uhr, die 78. Spielminute ist angebrochen, als KSC-Mittelfeldturbo Reinhold Yabo den HSV in Richtung 2. Bundesliga schießt. Nie zuvor hab ich eine derartige Leere in mir verspürt. Vergleichbar allenfalls mit dem 31. Mai 2008, als der SSV Reutlingen am letzten Spieltag in bester Ausgangslage bei den Sportfreunden Siegen die Qualifikation für die 3. Liga verspielte und damit seinen Platz in der Bedeutungslosigkeit des deutschen Fußballs fürs Erste zementierte.
Wie die Geschichte ausging, ist bekannt: Der Bundesliga-Dino zog in allerletzter Sekunde noch einmal den Kopf aus der Schlinge gezogen und stürzte die Badener in tiefe Depressionen. Geschieht ihm recht, diesem Kauczinski, denke ich an jenem Abend, hatte sich der KSC-Coach doch im ersten Relegationsspiel noch breit grinsend auf der Trainerbank gefläzt, zu 1000 Prozent sicher, dem Dino im Rückspiel daheim im Wildpark den Garaus zu machen.
69 Tage später stehe ich in den Katakomben des Kreuzeiche-Stadions und blicke auf diesen Mann, der noch immer nicht zu begreifen scheint, was da mit seinem Verein passiert in diesen Wochen im Sommer 2015. Fußball kann grausam sein, aber wem sage ich das: Auch meinen SSV Reutlingen hab ich schon mehrfach den Bach runtergehen sehen, Zwangsabstiege und Insolvenz inklusive. Da ist es wie Balsam, dass die 05er nach einer total vergurkten Saison 2014/2015 überraschend den Verbandspokal geholt und damit das Ticket für den DFB-Pokal gelöst haben.
Nur kurz ist die Hoffnung, dass in der zweiten Pokalrunde mein Traumlos gezogen wird. Mit einer desolaten Leistung gegen Jena verabschiedet sich der Hamburger SV einen Tag nach dem Sensationssieg der Reutlinger aus dem Wettbewerb. Nix wird es mit dem Kräftemessen meiner beiden Herzensklubs. Dabei wäre mein Arbeitskollege - HSVer seit dem ersten Atemzug - nur zu gerne mal mit mir an die Kreuzeiche gefahren, und ich hätte ihm einmal live zeigen können, wovon ich sonst nur in blumigen Worten erzähle.
Stattdessen: Braunschweig. Man kann es sich nicht aussuchen. Aber es ist auch Jammern auf hohem Niveau. Wie oft stand ich schon am Wochenende auf irgendwelchen Dorfsportplätzen, um meine Reutlinger Gurkenspiele abliefern zu sehen?
28. Oktober, Pokaltag. Oder wie man in Reutlingen sagt: Noch fünf Spiele bis Europa. Diesmal bleibt mir nur das Flugzeug als Reisemittel, um die 800 Kilometer möglichst schnell zu überbrücken. Denn am nächsten Morgen muss ich schon wieder in der Redaktion auf der Matte stehen, und Anpfiff ist erst abends um halb neun. Drei Minuten vor Plan landet Flug 4U 7042 in Stuttgart. Dennoch gilt es, keine Zeit zu verlieren. Ich will jede dieser kostbaren Minuten an der heimischen Kreuzeiche, diesem unvollendeten Fußballtempel am Fuße der Schwäbischen Alb, auskosten.
Es ist ein gutes Gefühl, nach Hause zu kommen.
Ob heute wohl was drin ist? Ich beiße mir noch immer in den Allerwertesten, wenn ich an den 8. August zurückdenke. Nachmittags hatte ich noch kurz überlegt, einen Zwanni auf den SSV zu setzen. Die Quote war mit 25 auf Sieg Reutlingen ausgesprochen gut, aber ich – da kommt trotz fast drei Jahrzehnten an der Nordseeluft der Schwabe in mir durch – war dann zu knickerig. Giuseppe Ricciardis verrücktes Elfmeter-Triple hätte mir am Ende des Tages 500 Euro eingebracht.
Mit zehn auf Heimsieg ist die Quote heute deutlich geringer. Man traut dem SSV offenbar mehr zu als im August, als es gegen vermeintlich starke Karlsruher ging, die wenige Wochen zuvor fast Erstligist geworden wären. Aber diesen zusätzlichen Nervenkitzel brauche ich heute nicht. Ich will an diesem Abend einfach nur den puren Fußball unter Flutlicht genießen. Womöglich wird es erneut zwölf Jahre dauern, bis es der SSV mal wieder in den DFB-Pokal schafft. Ich werde dann 50 sein. Und immer noch so fußballverrückt?
Lieberknechts Truppe lässt nichts anbrennen. Auch wenn sich meine Reutlinger nicht doof anstellen und in den ersten Spielminuten kein Dreiklassenunterschied auszumachen ist, ist schnell zu spüren: Ein erneutes Fußballwunder wird es heute nicht geben. Zu konzentriert gehen die Braunschweiger ans Werk, sie gelten nicht umsonst als eines der defensivstärksten Teams in Liga zwei. Effektiv sind sie auch noch: Aus zwei halben Chancen machen sie die ersten beiden Tore der Partie. Zur Halbzeit ist der Drops schon gelutscht, und mit den 6.500 Fans, die an diesem Abend mit den Reutlingern fiebern – gut tausend weitere haben sich mitten in der Woche aus Braunschweig auf den Weg gemacht, Respekt – hoffe ich leise, dass es keine Klatsche geben wird.
Doch die Reutlinger Mannschaft ist gefestigt. Sie nimmt ihr Herz in die Hand und rennt und kämpft, und die Fans auf den Rängen belohnen diesen Einsatz mit 90 Minuten Dauersupport. Gänsehaut. Am Ende steht es 0:4. Bedröppelt und abgekämpft schleicht die Mannschaft zum Block E, wo die treuesten und leidenschaftlichsten Anhänger des SSV ihre Heimat haben. Es ist mehr als nur aufmunternder Applaus, den sich die erschöpften Pokalkrieger abholen. Es ist Dankbarkeit für ein Fußballjahr, das im Liga-Alltag grau und Mittelmaß war, aber im Verbandspokal einen kaum für möglich gehaltenen Sieg brachte, der den Reutlinger Fußball nach viel zu langer Zeit mal wieder für ein paar Stunden auf die große Fußballbühne gehoben hat.
29. Oktober, 6:15 Uhr: Boarding für Flug 4U 2044. Es ist wahrscheinlich das letzte Mal für dieses Jahr, dass ich Fußball in meiner schwäbischen Heimat erlebt habe. Am Wochenende steht erstmal das Nordderby gegen Hannover 96 an. Ich werde dann wieder auf der Nordtribüne im Volkspark stehen, Seite an Seite mit Fans, die von meiner Leidenschaft für den SSV Reutlingen nichts wissen – was vielleicht auch besser so ist, denn Südvereine sind hier tendenziell eher nicht so gut gelitten.
Ob unserer Nummer 9 diesmal das lang ersehnte erste Tor gelingt? Nichts würde mich mehr freuen. Schließlich ist Sven Schipplock gebürtiger Reutlinger. Dass sein Name auf meinem Trikot steht, bedarf keiner weiteren Erläuterung.
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