Wenn ein Spieler beim Stand von 0:1 einen Elfmeter absichtlich verschießt, könnte man an Betrug denken. Doch weit gefehlt, Paul Mitscherlich von Germania Schöneiche hatte in der Landesligapartie ein ganz anderes Motiv: Fair Play. Und das ausgerechnet einige Stunden, bevor Bundesligaprofi Timo Werner die Fair-Play-Diskussion in Deutschland mit einer Schwalbe befeuerte.
"Ich konnte ihn einfach nicht reinschießen, es fühlte sich nicht richtig an." Im Interview mit dem Tagesspiegel gewährte Mitscherlich Einblicke in seine Gefühlswelt. Im Landesligaduell mit dem Kolkwitzer SV stand es in der 80. Minute 0:1. Dann ertönte plötzlich ein Pfiff. Der Schiedsrichter entschied auf Strafstoß für die Germania. Mitscherlich zweifelte die Entscheidung an. Aus seiner Sicht gab es lediglich einen leichten Rempler, mehr nicht. Spätestens als sein Mitspieler ihn kurz vor der Ausführung des Elfmeters angrinste, wusste der Spielertrainer: das war kein Foul.
Mitscherlich spielte den Ball mit einem leichten Schuss zurück zum Torwart. Es blieb beim 0:1 . Ein Gegenspieler umarmte ihn nach dieser fairen Geste, der Kapitän des Kolkwitzer SV berichtete später, dass er sogar Gänsehaut bekommen hätte. Und der Schütze selbst? "Ich fühlte mich elend. Obwohl ich wusste, dass ich das Richtige getan hatte. Ich wollte nicht umarmt werden."
Fans spenden für Mannschaftskasse
"In diesem Moment ging es nicht nur um Punkte, sondern darum, Vorbild zu sein"
In den verbleibenden Minuten stemmte sich Schöneiche mit viel Leidenschaft gegen die Niederlage. Ausgerechnet Mitscherlich fehlte bei seinem Freistoß in der Nachspielzeit das nötige Glück. Er traf nur die Latte. Abpfiff. "Ich kämpfte mit den Tränen und bin sofort in die Kabine gerannt. Die Emotionen haben mich übermannt", erklärt Mitscherlich.
Im Anschluss erntete er von allen Seiten Lob. Die Zuschauer spendeten Beifall und sammelten Spenden für die Mannschaftskasse der Germania und auch die meisten Mitspieler klopften ihrem Trainer auf die Schulter. "Andere haben gar nichts gesagt", erinnert sich Mitscherlich. "Aber an ihren Gesichtern war abzulesen, dass sie vielleicht nicht ganz so einverstanden waren."
Dafür bringt der 33-Jährige Verständnis auf. Schließlich habe sein Team in der Saison schon öfter Spiele knapp verloren, im Abstiegskampf gehe es um jeden Punkt. Aktuell steht die Germania mit acht Punkten und der schwächsten Offensive nur hauchdünn auf einem Nichtabstiegsplatz . Seine Entscheidung bereut Mitscherlich trotzdem nicht: "In diesem Moment ging es nicht nur um Punkte, sondern darum, Vorbild zu sein. Und was für ein Vorbild wäre ich, wenn ich als Trainer auch noch aktiv beim Betrügen mithelfe?"
Die Diskussion um die Szene aus dem Profifußball, die sich nur wenige Stunden nach seiner bemerkenswerten Fair Play-Geste ereignete, hat Mitscherlich aufmerksam verfolgt. Timo Werner verwandelte einen Strafstoß, dem eine Schwalbe des Leipzigers vorausgegangen war, wie er am Tag nach dem Spiel zugab. Am Ende siegte RB gegen Schalke 04 mit 2:1. In Deutschland diskutierten Millionen Fußballfans, ob der 20-Jährige den Schiedsrichter nicht hätte informieren müssen.
"Timo Werner ist noch jung, in der Bundesliga geht es um sehr viel Geld und natürlich ist es etwas anderes, wenn du absichtlich einen Elfmeter vor 60 Zuschauern auf dem Sportplatz verschießt statt vor 50.000 in einem Stadion", sagt Fair Play-Vorbild Mitscherlich. "Aber er hätte ein Zeichen setzen können, das nicht nur in Deutschland große Beachtung erfahren hätte. Werner mag ein Tor geschossen haben, aber ich finde, er hat eine große Chance vertan."
DFB honoriert Fairplay
Ohne Fairplay geht es nicht. Fairness ist die Grundlage des Fußballs, bedeutet aber mehr als das Einhalten der 17 Fußball-Regeln. Dem sportlichen Gegner – auch in der Hitze des Wettkampfs – mit Respekt zu begegnen, seine Chancengleichheit zu wahren, das ist Fairness. Faire Prinzipien dienen als Kompass für erfolgreiches Handeln in vielen Lebenssituationen. Der Fußball kann hierfür ein Vorbild sein, insbesondere wenn bereits Kindern und Jugendlichen bei der Ausübung ihres Sports eine faire Grundeinstellung vermittelt wird.
Aus diesem Grund verleiht der Deutsche Fußball-Bund (DFB) jährlich die "Fair Play-Medaille". Bereits seit 1997 zeichnet er mit dieser Verleihung besonders faire Spieler, Mannschaften und Funktionäre aus. Besonders faire Aktionen können in der Rubrik Fair ist mehr gemeldet werden.