Von den Verantwortlichen und Mitarbeitern des West-Regionalligisten Rot-Weiss Essen wird er - wegen seines nicht ganz einfachen - Vornamens bereits „Agi“ gerufen. Von seinen Spielern lässt sich der neue RWE-Cheftrainer und Hoffnungsträger Argirios Giannikis (37) aber siezen. Der Nachfolger des beurlaubten Sven Demandt ist neu im Westen. Der gebürtige Nürnberger mit griechischen Wurzeln wuchs in Karlsruhe auf, studierte in Mannheim und hat seinen Lebensmittelpunkt mit Ehefrau Rula und Sohn Mattheo (15 Monate) in Frankfurt. Das zweite Kind ist unterwegs. Als Co- und Nachwuchstrainer arbeitete er lange für den Karlsruher SC und zuletzt für den FC Ingolstadt 04.
Im aktuellen FUSSBALL.DE -Interview spricht Argirios Giannikis über seinen anspruchsvollen Start an der Hafenstraße, seinen langjährigen „Chef“ Markus Kauczinski, seine einstigen „Mitschüler“ wie Julian Nagelsmann oder Domenico Tedesco und darüber, was er mit dem früheren Formel 1-Weltmeister Jenson Button gemeinsam hat.
FUSSBALL.DE: Die ersten Trainingseinheiten unter Ihrer Regie an der Hafenstraße sind absolviert. Welche Eindrücke konnten Sie bereits gewinnen, Herr Giannikis?
Argirios Giannikis: Bisher nur positive. Die Mannschaft ist willig, offen für Neues. Das gefällt mir und ist eine gute Grundlage.
"Es war auf jeden Fall zu spüren, dass die Qualität im Kurs sehr hoch war. Überhaupt ist die Ausbildung an der Hennes-Weisweiler-Akademie in Hennef herausragend. Dass sich für verschiedene Teilnehmer der Erfolg dann so schnell eingestellt hat und viele schon jetzt als Cheftrainer im Profifußball arbeiten, ist sicher außergewöhnlich, aber auch von vielen verschiedenen Faktoren abhängig"
Worauf kommt es Ihnen in den ersten Tagen besonders an? Welche Maßnahmen leiten Sie ein?
Giannikis: Gerade zu Beginn wird es entscheidend sein, dem Team Sicherheit zu geben. Das möchte ich durch möglichst viele Erfolgserlebnisse im Training und durch zahlreiche Einzel- und Gruppengespräche erreichen. Ich muss den Jungs mit meinem Trainerteam die Angst nehmen, Fehler zu machen.
Mit dem Pokalderby beim Oberligisten ETB Schwarz-Weiß heute Abend und dem Traditionsduell bei Alemannia Aachen am Sonntag geht es für Sie sofort mit einer englischen Woche los. Hätten Sie sich mehr Vorbereitungszeit gewünscht?
Giannikis: Es ist ohnehin nicht zu ändern. Also nehmen wir die Situation so an, wie sie ist. Es geht in beiden Spielen darum, möglichst gut reinzukommen und die im Training erarbeiteten Inhalte so gut wie möglich auf dem Platz umzusetzen.
Die Mannschaft hat zuletzt eine Negativserie hingelegt, strotzt nicht gerade vor Selbstvertrauen. Wie froh sind Sie vor diesem Hintergrund, dass RWE durch die Bonner Heimniederlage gegen Alemannia Aachen zumindest nicht auf einen Abstiegsplatz abgerutscht ist?
Giannikis: Auch nach der Niederlage gegen Aachen hat Bonn immer noch ein Spiel weniger als wir. Aber das sollte uns ohnehin nicht so sehr beschäftigen. Ich schaue nicht auf die Tabelle, sondern will einen Prozess einleiten, mit dem wir dauerhaft zurück in die Erfolgsspur kommen.
Sie haben gesagt, kurzfristig gehe es in erster Linie darum, das Team zu stabilisieren. Müssen sich die Fans zunächst auf Abstiegskampf einstellen?
Giannikis: Die Situation ist nicht einfach, keine Frage. Es sind aber genug Spiele, um die Mannschaft zu entwickeln und eine kontinuierliche Steigerung zu erreichen. Im ersten Schritt müssen wir unsere Konteranfälligkeit und Defensivschwäche ablegen. Wenn uns das gelingt und unsere Leistungen stimmen, dann werden sich auch die Punkte einstellen.
Welche mittel- und langfristigen Pläne verfolgen Sie? Immerhin hat der Verein das Ziel ausgegeben, spätestens in der nächsten Saison ganz oben anzugreifen!
Giannikis: Der Verein ist ambitioniert, ich bin es als Trainer nicht weniger. Allerdings bin ich kein Sprücheklopfer, der gleich große Ankündigungen macht. Wir wollen uns in kleinen Etappen verbessern und einen Schritt nach dem anderen machen.
Sie stammen nicht aus der Region, waren auch noch nie im Westen tätig. Dennoch schwärmte Sportdirektor Jürgen Lucas von Ihren Kenntnissen der Mannschaft und der Regionalliga West. Wie haben Sie sich dieses Wissen angeeignet und wie wichtig ist es überhaupt, die Liga genau zu kennen?
Giannikis: In den letzten Monaten war ich bundesweit in allen Regionalliga-Staffeln, aber auch in den Junioren-Bundesligen unterwegs, um mich zu informieren und mich gut auf einen Job als Cheftrainer vorzubereiten. Als dann die Anfrage aus Essen kam, habe ich mich selbstverständlich besonders intensiv mit dem Team beschäftigt, die einzelnen Spieler analysiert und meine Eindrücke in den Gesprächen mit dem Verein formuliert.
Waren Sie sofort einverstanden, als Ihnen der Verein zunächst „nur“ einen Vertrag bis zum Saisonende angeboten hat?
Giannikis: Das haben wir ja gemeinsam entschieden. Beide Seiten haben schnell gemerkt, dass sie unbedingt zusammenarbeiten wollen. Ich persönlich wollte auch so schnell wie möglich anfangen. Deshalb haben wir uns zunächst auf den Vertrag bis Juni verständigt. Wenn die Situation besser ist, werden wir uns sicher die Zeit nehmen, um über eine längerfristige Zusammenarbeit zu sprechen. Jetzt haben erst einmal andere Dinge Priorität.
Können Sie schon nach wenigen Tagen deutliche Unterschiede in der Außenwahrnehmung des Traditionsvereins Rot-Weiss Essen und der Innenansicht feststellen?
Giannikis: Eigentlich eher nicht. RWE ist ein großer Verein mit riesiger Tradition und einer außergewöhnlichen Fanbasis, ist professionell aufgestellt und wird seriös geführt. Das war mein Bild vorher und das hat sich bisher auch so bestätigt. Dass der Verein und seine Anhänger geradezu nach Erfolg lechzen, ist an jeder Ecke zu spüren.
Sie waren beim Karlsruher SC und beim FC Ingolstadt 04 viele Jahre Co-Trainer von Markus Kauczinski. Was haben Sie aus dieser Zeit vor allem mitgenommen?
Giannikis: Markus ist ein absoluter Fachmann, von dem man sehr viel lernen kann. Er verfügt über sämtliche Kompetenzen, die ein erfolgreicher Trainer benötigt. Besonders imponiert hat mir seine Art der Mannschaftsführung. Auch der Umgang mit den Medien ist vorbildlich. Wir sind nach wie vor gute Freunde. Aber nach den vielen Jahren als Co-Trainer ist es für mich jetzt an der Zeit, alleinverantwortlich zu arbeiten.
Stehen Sie als Trainer für ein bestimmtes System oder eine bestimmte Spielphilosophie?
Giannikis: Für ein bestimmtes Spielsystem nicht, da bin ich als Trainer schließlich auch von meinen Spielern und vom jeweiligen Gegner abhängig. Für mich ist vor allem eine gute Raumaufteilung ein wesentlicher Bestandteil, um erfolgreich sein zu können. Hinzu kommen eine kompakte Verteidigung, möglichst schnelle Ballgewinne, die Kontrolle über das Umschaltspiel des Gegners und ein zielorientiertes Spiel bei eigenem Ballbesitz.
Ihre Ausbildung zum Fußball-Lehrer haben Sie 2015/2016 an der Seite der heutigen Bundesligatrainer Julian Nagelsmann, Domenico Tedesco und Alexander Nouri absolviert. War diese Entwicklung schon damals zu ahnen?
Giannikis: Es war auf jeden Fall zu spüren, dass die Qualität im Kurs sehr hoch war. Überhaupt ist die Ausbildung an der Hennes-Weisweiler-Akademie in Hennef herausragend. Dass sich für verschiedene Teilnehmer der Erfolg dann so schnell eingestellt hat und viele schon jetzt als Cheftrainer im Profifußball arbeiten, ist sicher außergewöhnlich, aber auch von vielen verschiedenen Faktoren abhängig.
Es fällt aber auf, dass gerade in den letzten Tagen und Wochen viele Teilnehmer des Lehrgangs neue Jobs angetreten haben: Hannes Drews in Aue, Daniel Thioune in Osnabrück, David Bergner in Erfurt und zuletzt Sie in Essen. Ist das nur ein Zufall?
Giannikis: Schwer zu sagen. Allein diesem Lehrgang angehört zu haben, reicht aber mit Sicherheit nicht aus. Gewisse Vorerfahrungen sind wichtig, außerdem muss man in den Gesprächen überzeugen, um erst mal eine Chance zu bekommen. Und dann muss man sie nutzen.
Besteht auch heute noch Kontakt zu Ihren Lehrgangskollegen?
Giannikis: Wir haben eine gemeinsame WhatsApp-Gruppe, über die wir regelmäßig kommunizieren. Mal mehr, mal etwas weniger. In den letzten Tagen war ich schon einige Zeit damit beschäftigt, die Nachrichten meiner Kollegen zu beantworten.
Stimmt es eigentlich, dass Sie die Fußballlehrer-Lizenz erst nach einer Nachprüfung erhalten haben?
Giannikis: Das ist korrekt. Ich habe einige Monate nach der regulären Prüfung noch eine praktische Teilprüfung über 25 Minuten wiederholt und hatte danach meinen - unter dem Strich guten - Abschluss in der Tasche. Dass nicht alles auf Anhieb zu 100 Prozent funktioniert, kann sicher jedem mal passieren. Ich habe erst kürzlich gelesen, dass Jenson Button einst durch die Führerscheinprüfung gefallen ist. Trotzdem hat er es zum Formel 1-Weltmeister gebracht. Das ist doch mal kein schlechtes Vorbild. (lacht)
Autor/-in: Ralf Debat/mspw