Gaudino: "Ich will Aufstiege feiern"

Mit dem Bundesligisten VfB Stuttgart wurde Maurizio Gaudino als Profi einst Deutscher Meister (1992). Vom 1. Juli an übernimmt der heute 48-jährige Ex-Nationalspieler (fünf A-Länderspiele) den Posten des Sportlichen Leiters beim baden-württembergischen Oberligisten SSV Reutlingen. Mit dem Traditionsverein, der 2003 noch in der 2. Bundesliga gespielt hatte, strebt Gaudino nun langfristig eine finanziell sichere und sportlich erfolgreiche Zukunft an. 2010 musste der SSV Insolvenz anmelden und leitete damals einen Neustart mit der Ausgliederung der Fußballabteilung in einen eigenständigen Verein ein, nachdem der Klub zuvor mehrfach die Lizenz für höherklassigen Fußball nicht erhalten hatte.

Im Interview mit FUSSBALL.DE spricht der 294-fache Bundesliga-Spieler Gaudino, dessen Sohn Gianluca zurzeit für den FC Bayern München am Ball ist und als eines der größten deutschen Talente gilt, über die Gründe für sein Engagement in Reutlingen, die Perspektiven des Vereins und seine Arbeit als Spielerberater, der er schon seit einigen Jahren mit einer eigenen Agentur nachgeht.

FUSSBALL.DE: Vor wenigen Tagen wurden Sie als neuer Sportlicher Leiter beim SSV Reutlingen vorgestellt. Was reizt Sie an der Oberliga Baden-Württemberg, Herr Gaudino?
Maurizio Gaudino: Mich reizt grundsätzlich die Arbeit bei Traditionsvereinen, die schon einmal im Profifußball gespielt haben und mittelfristig das Ziel verfolgen, wieder an alte Erfolge anzuknüpfen. Schon die Arbeit beim SV Waldhof Mannheim (2004 bis 2005 als Sportdirektor und Interimstrainer/Anm. d. Red.) hatte mir damals sehr viel Spaß gemacht. Ich möchte beim SSV Reutlingen an einigen Stellschrauben drehen, um den Verein wieder auf Kurs zu bringen - ohne allerdings gleich das Wort Aufstieg in den Mund zu nehmen. Davon sollte der Klub in der aktuellen Situation noch nicht reden.

"Ich möchte dabei helfen, dem SSV Reutlingen ein neues Gesicht zu verleihen"

Wie lautet Ihre Zielsetzung und wie beurteilen Sie die mittel- und langfristigen Perspektiven des Vereins?
Gaudino: Ich möchte eine positive Entwicklung im gesamten Verein mitgestalten und dabei helfen, dem SSV Reutlingen ein neues Gesicht zu verleihen. In den zurückliegenden Jahren hat es der Verein nie geschafft, oben mitzuspielen. In der Saison 2010/2011 wäre es sogar fast zum Abstieg aus der Oberliga gekommen. So etwas möchten wir in Zukunft vermeiden. Feste Ziele möchte ich aber momentan noch nicht ausgeben. Ich muss mir nun erst einmal von Tag zu Tag ein Bild machen und eine schlagfertige Mannschaft zusammenstellen. Strukturell sehen die Perspektiven in Reutlingen hervorragend aus. Finanziell und sportlich müssen wir den Verein wieder auf die richtige Bahn bringen, damit perspektivisch gesehen der Weg des SSV Reutlingen auch wieder in höhere Ligen führen kann.

Der SSV Reutlingen war bis 2003 im Profifußball am Ball und stieg nur wegen eines Sechs-Punkte-Abzugs aus der 2. Bundesliga ab. Halten Sie es für möglich, an frühere Erfolge auf dieser Ebene anzuknüpfen?
Gaudino: Das ist einerseits sehr weit hergeholt, weil es nun einmal schon zwölf Jahre zurückliegt. Auf der anderen Seite ist immer noch eine Struktur vorhanden, die darauf schließen lässt, dass in dieser Region auch schon einmal höherklassiger Fußball gespielt wurde. Auch die Fans werden an eine solche erfolgreiche Zeit immer wieder erinnert und sehnen sich nach Profifußball vor der eigenen Haustür. Da die Zusammenarbeit zwischen dem Verein und mir langfristig geplant ist, verfolge ich auch das Ziel, irgendwann einmal Aufstiege in Reutlingen feiern zu können. Das ist aber alles andere als einfach. Es ist schwieriger, mit einem Verein Erfolg zu haben, bei dem das Fundament schon seit Jahrzehnten steht und die Erwartungshaltung entsprechend hoch ist. Leichter ist es, wenn du mit einem Klub arbeitest, der quasi aus dem Nichts kommt und ohne Druck und Erwartungshaltung agieren kann. Dennoch blicke ich optimistisch in die Zukunft und bin von einer positiven Entwicklung in den kommenden Jahren überzeugt.

Wie bewerten Sie aktuell die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sowie die Strukturen und das Umfeld des Vereins?
Gaudino: SSV-Vorstandsmitglied Michael Schuster war in der Vergangenheit immer darauf bedacht, die finanzielle Situation unter Kontrolle zu halten. Es ist aber nun einmal so, dass der finanzielle Erfolg auch von den Zuschauereinnahmen und Sponsorengeldern abhängt. Wir wollen das Loch in der Kasse durch erfolgreichen Fußball wieder stopfen. Der sportliche und der finanzielle Fortschritt bedingen sich oft gegenseitig. Ich denke aber, dass wir nun für die Zukunft gut aufgestellt sind und wir eine geordnete Saison planen können. Auch ich persönlich werde einige private Sponsoren aus dem Raum Stuttgart mit nach Reutlingen bringen. Dabei handelt es sich um Geschäftsleute, mit denen ich gut befreundet bin und die sich schnell von der Vereinsstruktur des SSV Reutlingen haben begeistern lassen.

Was sind jetzt Ihre dringlichsten Aufgaben?
Gaudino: Zunächst einmal sind wir auf der Suche nach einem neuen Trainer, der unseren Vorstellungen entspricht. Er sollte sich zu 100 Prozent mit dem Verein identifizieren und das Potenzial besitzen, die Mannschaft weiterentwickeln zu können und Harmonie und Spaß auf dem Platz zu vermitteln. Auch in Sachen Kaderplanung steht für mich sofort einiges auf dem Programm. Wir werden uns definitiv mit einigen neuen Spielern verstärken. Dafür müssen wir nun erst einmal den Markt sondieren und dann entscheiden, wer zum SSV passt und wer nicht. Dann gilt es, sich darum zu kümmern, dass sich die Neuzugänge schnellstmöglich einleben.

Laut Medienberichten sind Sie an der Verpflichtung von Trainer-Routinier Lorenz-Günther Köstner interessiert. Wie ist der Stand der Verhandlungen? Gibt es noch weitere Kandidaten?
Gaudino: Wir haben mehrere Kandidaten auf dem Schirm, mit denen wir schon bald Gespräche führen werden. Auch mit Lorenz-Günther-Köstner gab es aber noch keine Verhandlungen über ein mögliches Engagement in Reutlingen.

Sie selbst haben nach ihrer erfolgreichen Profikarriere nur kurzzeitig als Trainer gearbeitet. Haben Sie sich bewusst gegen den Job an der Seitenlinie entschieden?
Gaudino: Ja, weil es nie meine Intention war, Trainer zu werden. Es ist nun ein Puzzle aus Aufgaben, die ich zu bewerkstelligen habe. Gerade das macht für mich den Reiz an der Arbeit als Sportlicher Leiter aus. Ich bin auch kein Typ, der die Verantwortung dafür tragen möchte, Spielern zu erklären, dass sie am Wochenende nicht auf dem Platz oder gar nicht im Kader stehen. Auch der Gefahr, dass ich Spieler links liegen lassen würde, weil ich im Glauben bin, dass sie keine besondere Zuwendung benötigen, möchte ich aus dem Weg gehen. Damit möchte ich nicht sagen, dass mir die Arbeit als Interimstrainer in Mannheim beispielsweise nicht gefallen hat. Es war eine hervorragende Erfahrung, die ich nicht missen möchte. Langfristig gesehen wollte ich aber auch endlich mal vom Platz herunterkommen (lacht) . Ich war schon als Spieler jemand, der auch nach dem Training noch stundenlang Extra-Schichten eingelegt hat, um beispielsweise Freistöße und Elfmeter zu perfektionieren. Das würde ich als Trainer wahrscheinlich nicht anders machen. Aber ich kann meine Mannschaft ja nicht den ganzen Tag trainieren lassen (lacht) .

Seit vielen Jahren sind Sie als Spielerberater tätig, führen mittlerweile eine eigene Agentur. Werden Sie diese Arbeit auch weiterhin fortsetzen?
Gaudino: Ja, ich werde auch meiner Arbeit als Spielerberater weiterhin nachgehen. Ich versuche, den Spagat zu machen und beiden Aufgaben genug Aufmerksamkeit zu schenken. Da ich in der Agentur auch sehr gute Mitarbeiter habe, bin ich überzeugt davon, dass es zeitlich keine Probleme geben wird.

Ihr Sohn Gianluca steht beim FC Bayern München unter Vertrag, kam als A-Jugendlicher schon mehrfach in der Bundesliga zum Einsatz. Ist es leichter oder schwieriger, den eigenen Sohn zu beraten?
Gaudino: Grundsätzlich behandele ich meinen Sohn genau wie alle anderen Klienten. Trotzdem hat man ein anderes Verhältnis zum eigenen Kind als zu Spielern, mit denen man „nur“ geschäftlich zu tun hat. Das ist weniger darauf bezogen, dass ich mich für ihn mehr einsetze. Das trifft keinesfalls zu. Jeder Spieler, den ich berate, bekommt dieselbe Aufmerksamkeit und Wertschätzung. Allerdings verläuft die Kommunikation mit meinem Sohn schon etwas anders ab. Wie man es halt aus einer Vater-Sohn-Beziehung kennt (lacht) . Es ist aber nicht so, dass ich ihm nach schlechten Leistungen Vorwürfe mache. Wenn er etwas auf dem Herzen hat, dann muss er - wie jeder andere auch - auf mich zukommen.

Was haben Sie ihm als ehemaliger Nationalspieler neben dem Talent vor allem mit auf den Weg gegeben?
Gaudino: Ich will allen Klienten - nicht nur meinem Sohn - die Erfahrungen aus meiner Zeit als Fußballer mit auf den Weg geben. Vor allem die ersten Schritte sind wichtig und entscheidend, um am Ende auf eine erfolgreiche Karriere zurückblicken zu können. Jeder fängt damit an, auf der Straße, auf dem Spielplatz oder auf dem Schulhof Fußball zu spielen. Um der Sportart aber erfolgreich nachzugehen, muss man sich hundertprozentig damit identifizieren und viel Eigenmotivation mitbringen, um sich stetig verbessern zu können. Das versuche ich auch Gianluca zu vermitteln. Wichtig ist für alle jungen Spieler, der Willen, etwas zu erreichen, und die Freude, jeden Tag an sich zu arbeiten. Auch in Phasen, in denen der Alltagsstress mit Schule, Hausaufgaben und Fußball praktisch keine Freizeit zulässt. Da bin ich gefordert, die Jungs zu unterstützen und zu fördern, damit sie wieder auf den richtigen Weg kommen.

Sie waren auch Berater des früheren Junioren-Nationalspielers Boris Vukcevic, der einen schweren Autounfall hatte und seitdem nicht mehr Fußball spielen konnte. Wie sind Sie damit umgegangen? Haben Sie noch regelmäßigen Kontakt zu ihm?
Gaudino: Ich habe immer noch regelmäßig Kontakt zu Boris und seiner Familie. Es war damals eine sehr schwierige Zeit. Umso mehr freut es mich, dass er nach und nach in das Leben zurückkehrt. Er befindet sich zurzeit in Reha und ist auf einem guten Weg.