Gesellige Würfelspiele, peinliche Lieder der Neuzugänge und der Filmriss am Morgen danach. Amateurfußballer und Buchautor Joel Grandke wirft auf FUSSBALL.DE einen Blick auf die alljährlichen Feierlichkeiten eines Amateurklubs bei der Weihnachtsfeier.
Klassiker des Fußball-Gesangsbuchs #16: „ Wilde Nacht, heilige Nacht. “ Wenn sich das Kalenderjahr dem Ende zuneigt – was Amateurfußballer meist nur dadurch bemerken, dass sie sich aufgrund der Winterpause nicht mehr am Sonntagmittag verkatert Richtung Sportplatz schleppen müssen – gibt es viele Gründe zu feiern. Neben dem Jahreswechsel steht natürlich das Weihnachtsfest im Kalender, das bevorzugt im Kreise der Liebsten verbracht wird: mit den Kumpels vom Fußball nämlich. Da der Heiligabend in der Regel aber mit der Familie begangen wird, muss die Fußball-Gemeinde ihr Fest bereits vorverlegen. Diese hochprozentige Bescherung wird bei Kreisliga-Clubs besonders zelebriert. Sogar bei den Profis ist die Weihnachtsfeier berüchtigt: Im Nobel-Ambiente wird fürstlich diniert, um sich im Anschluss einmal richtig gehen zu lassen, was den Kickern ja nicht allzu häufig mit dem Segen des Trainers vergönnt ist. Für ein bisschen Klatsch und Tratsch sorgen unterdessen die Turteleien einiger Promi-Kicker an der Bar – das Fest der Liebe verbringt halt niemand gern alleine.
Im Amateurbereich ergibt sich ebenfalls reichlich Getratsche, auch hier wird am Abend nochmal richtig die weihnachtliche Sau rausgelassen. In vielen Vereinen gilt daher die goldene Malle-Abschlussfahrt-Regel: „Was auf der Weihnachtsfeier passiert, bleibt auch auf der Weihnachtsfeier.“ Heißt: Schweigegelübde für alle. Amateurfußballer können bei lustigen Suff-Geschichten allerdings noch schlechter dichthalten als den Ball hochhalten, sodass jeder von uns unzählige Anekdoten seiner bisherigen Mannschaftsfeste vor Heiligabend im Köcher hat.
Plastik-Tannenbaum als Deko
"Einer der Ersatzspieler fängt im Brausebrand an, lautstark gegen den Trainer zu wettern und kündigt großspurig seinen bereits fixen Wechsel zu einem höherklassigen Verein an – der natürlich nie stattfinden wird."
Die Feier findet hier nicht im aufwendig dekorierten Saal des Nobel-Hotels statt, aber auch das Vereinsheim oder die Dorf-Kneipe „Zum röhrenden Hirsch“ haben zweifellos ihren Charme. Immerhin: Der Wirt hat einen kleinen Plastik-Tannenbaum auf dem Tresen platziert, der an weihnachtlicher Dekoration reichen muss. In Schale wirft sich hier ohnehin niemand. Warum auch? Der Trainingsanzug in den rot-weißen Vereinsfarben sieht nach ein paar Glühwein schließlich fast aus wie ein Santa-Claus-Kostüm. Neben Wichtel-Geschenken werden hier gute Vorsätze mitgebracht: Der Libero, der in der Nachbargemeinde arbeitet, kündigt zu Beginn an, dass er aufgrund seiner Wochenendschicht heute nicht trinken werde. Ein Vorhaben, das maximal bis zur zweiten Runde Doppelkorn Bestand hat.
Musikalisch wird der Abend vom Dorf-DJ mit dem knackigen Namen „Magic Jürgen“ begleitet. Seine akustische Bescherung besteht aus zwei Alben von Helene Fischer, einem Sampler aus mehreren Jahrzehnten Ballermann-Hits und dem „Wham!“-Klassiker „Last Christmas“ in der Dauerschleife. Einen zentralen Programmpunkt nimmt auf der klassischen Kreisklassen-Weihnachtsfeier zunächst das Essen ein. Für den Verlauf des weiteren Abends ist eine ausreichende Grundlage absolut lebensnotwendig. Passenderweise bietet der Dorfmetzger neuerdings einen Partyservice an, der schon auf dem örtlichen Schützenfest für große Begeisterung sorgte. Die Mannschaft durfte das Buffet selbst zusammenstellen und war somit in der Lage, die unnötigen Salat- und Brotbeilagen (Klassiker-Schenkelklopfer: „Wir essen unserem Essen doch nicht das Essen weg!“ ) gegen die doppelte Portion an Steak und Bratwurst einzutauschen. An die drei Vegetarierinnen unter den Spielerfrauen ist natürlich auch gedacht worden, indem einige Gläser mit Salzstangen befüllt wurden. Soll ja schließlich jeder satt werden!
Um nach dem fettigen Essen nicht direkt in den mehrmonatigen Winterschlaf zu fallen, wird die Runde mit traditionellen Würfel- oder Kartenspielen wach gehalten. Egal, nach welchem Regelwerk gespielt wird: Jedes zielt auf das Gleiche ab. Unter dem Deckmantel eines geselligen Spiels soll innerhalb kürzester Zeit so viel Schnaps wie nur möglich gebechert werden. Der einzige Unterschied zur „normalen Druckbetankung“ besteht darin, dass man sich jede Runde einmal über sein Würfelpech aufregen darf, bevor man sich mit dem billigen Kräutergeist den Mund ausspült. Regeln sind Regeln.
Eine beliebte Variante stellt das Schrottwichteln dar, für das jeder einen unnützen Gegenstand vom Dachboden entstaubt und als Geschenk verpackt hat. Da freut man sich zunächst, dass man den hässlichen Gartenzwerg endlich aus der Rumpelkammer entsorgen kann. Die Freude währt aber nur kurz, da man nach dem Wichteln „stolzer Besitzer“ einer schwarz-rot-goldenen Perücke und einer Plastik-Vuvuzela ist. Der Kram landet natürlich auch wieder auf dem Dachboden und wird dann bei der nächsten Firmenfeier einfach weiterverwichtelt. Da bei jeder gewürfelten Vier, Fünf oder Sechs aber ein Schnaps getrunken werden muss, steigt die Stimmung dennoch merklich an.
Am Tresen haben sich unterdessen zwei Jungspieler selbstständig gemacht, die sich an einem winterlichen Cocktail versuchen. Mit voller Überzeugung präsentieren sie schließlich den „Glühenden Weihnachtshirsch“, für den sie Glühwein mit Kakao, Apfelpunsch und einem gut gemeinten Schuss Jägermeister verfeinerten. Da sie selbst größter Konsument ihres Cocktails sind, werden sie ab 23 Uhr nicht wieder gesehen.
Der große Auftritt des Trainers
Dadurch entgeht ihnen der große Auftritt ihres Trainers. Wettschulden sind Ehrenschulden: Der Coach hatte Anfang des Jahres darauf gewettet, dass die Truppe es nicht schaffen würde, jeden Sonntag elf Spieler auf den Platz zu bringen. Diese Motivation schien die Truppe beflügelt zu haben, sodass sie sich in jedem noch so erdenklich schlechten Zustand zum Sportplatz schleppte. Wette gewonnen! Aus diesem Grund tanzt der Trainer nun als Weihnachtsmann verkleidet durch den Raum. Mit einer Toilettenbürste als Mikrofon demonstriert er die große Kunst des Karaoke. Sein Medley aus „Oh Tannenbaum“, „Deutschland ist der geilste Club der Welt“ und „Zeig‘ doch mal die Möpse“ versetzt die Menge in Ekstase. Als Zugabe gibt es die eigene Interpretation des neuesten Songs von Helene Fischer.
Zur Weihnachtsfeier gehört allerdings auch immer ein bisschen Drama. Einer der Ersatzspieler fängt im Brausebrand an, lautstark gegen den Trainer zu wettern und kündigt großspurig seinen bereits fixen Wechsel zu einem höherklassigen Verein an – der natürlich nie stattfinden wird. Auch Eifersüchteleien sind keine Seltenheit, sollte einer der Kicker die Spielerfrau eines anderen etwas zu euphorisch antanzen. Die Kollegen können die aufgebrachten Kontrahenten aber stets rechtzeitig voneinander trennen. DJ „Magic Jürgen“ wechselt derweil deeskalierend von Helene Fischer auf „Last Christmas“.
Für einen kleinen Skandal sorgt schließlich ein Nachwuchskicker, der traditionsgemäß ein kurzes Gedicht als Aufnahmeritual ableisten muss. Mit seiner Textzeile „Der Präsident ist sicherlich / bei uns das größte Sackgesicht“ handelt er sich eine Disziplinarstrafe ein und muss in den kommenden Wochen die Trikots der gesamten Mannschaft waschen.
Spärlich besetzter Aufräumdienst
Zwischen 3 und 7 Uhr geht dann nichts mehr: Kompletter Filmriss bei der gesamten Mannschaft. Tage später werden sich die Spieler noch über die Geschehnisse in diesen Stunden austauschen, letztlich aber vergebens nach Erinnerungen suchen.
Der Aufräumdienst ist am kommenden Morgen recht spärlich besetzt und besteht lediglich aus den Leuten, die es in der Nacht nicht mehr nach Hause geschafft haben. Diese wachen dann auch mal zwischen umgekippten Stühlen, Bierkisten und Schnapslachen auf. Als Letzter wird übrigens der eingangs erwähnte Libero mit den guten Vorsätzen aus dem Schlaf gerissen. Zum Glück hat er vorgesorgt: Seine Arbeitskleidung hatte er bereits am Vorabend in einer Sporttasche mitgebracht, sodass er sich direkt umziehen und vom Vereinsheim aus zur Arbeit aufbrechen kann. Na dann: Frohe Weihnachten!