Von der siebtklassigen Gruppenliga in Hessen zur WM-Qualifikation: Was auf den ersten Blick unvorstellbar klingt, hat Aaron Krüger erlebt. Der 30 Jahre alte Stürmer des SV Wiesbaden 1899 wurde erstmals in die Nationalmannschaft der westpazifischen Insel Guam berufen, gehörte bei den Spielen in China (0:7) und gegen Syrien (0:4) jeweils zum Kader. Im FUSSBALL.DE-Interview spricht er über seine Länderspielreise.
FUSSBALL.DE: Schon im ersten Spiel nach Ihrer Länderspielreise haben Sie sich beim 6:2 im Derby gegen den FC 1934 Bierstadt in die Torschützenliste eingetragen. Die Reisestrapazen haben Sie also gut überstanden, Herr Krüger?
Aaron Krüger: Die Ergebnisse beim 0:7 in China und beim 0:4 gegen Syrien lagen mir schwerer in den Knochen als die Reisen. Wir wollten der Welt beweisen, dass die Nationalmannschaft von Guam erfolgreich sein kann. Schon eine Woche vor dem ersten Länderspiel sind wir nach Guangzhou gereist und haben uns dort im Nachwuchsleistungszentrum des chinesischen Erstligisten Guangzhou Evergrande Taobao vorbereitet. Nach der ersten Partie ging es für uns nach Dubai, wo das Spiel gegen Syrien ausgetragen wurde. Die Temperaturen vermisse ich schon etwas. In Deutschland wurde ich vom Regen begrüßt. Nach meiner Rückkehr früh morgens ging es direkt wieder in die Universität nach Darmstadt. Ich mache aktuell meinen Master in Sportmanagement.
Haben Sie schon richtig begriffen, dass Sie jetzt zum Kreis der Nationalmannschaft von Guam gehören?
"Es war eine unglaubliche Erfahrung, die ich später noch meinen Enkeln und Urenkeln erzählen werde"
Krüger: Ich hatte schon 2018 an einem Trainingslager der Nationalmannschaft in Japan teilgenommen. Dann aber bei der WM-Qualifikation dabei zu sein und das auch noch gegen die Nationen aus den beiden höchsten Lostöpfen, ist etwas ganz anderes. Gegen China waren 40.000 Zuschauer im Stadion. Vor allem nach meiner Rückkehr nach Deutschland ist mir das ganze Ausmaß bewusst geworden. Die Familie, Freunde und sogar Nachbarn haben mich auf die Nationalmannschaft angesprochen.
Wie wird ein Spieler aus der siebthöchsten Spielklasse für die Landesauswahl interessant?
Krüger: Mein Vater kommt gebürtig aus Guam und hat dort noch Familie. Ich war 2016 für einige Wochen bei meinem Onkel, meinen Cousinen und Cousins zu Besuch. Weil ich in dieser Zeit nicht auf den Fußball verzichten wollte, hatte ich mich informiert und den damaligen Tabellenführer Rovers FC angeschrieben, ob ich nicht mittrainieren und mich fithalten könnte. Und das hatte dann auch geklappt. Ich habe mich vom ersten Moment an gut mit den Spielern verstanden und bin mit einigen von ihnen abends auch ein Bier trinken gegangen. Jason Cuncliffe meinte zu mir, ob ich nicht Lust hätte, für die Nationalmannschaft zu spielen. Was ich bis dahin nicht wusste: Er ist der Kapitän der Nationalmannschaft. Ich habe dann auch ein Probetraining absolviert. Allerdings hatte es zwischen mir und dem damaligen Trainer Darren Sawatzky nicht gepasst.
Das liegt ja nun schon eine Weile zurück. Was ist danach passiert?
Krüger: Anfang 2018 bekam ich einen Anruf des neuen Nationaltrainers Karl Dodd, der sich nach mir und meiner Verbindung zu Guam erkunden wollte. Da er den ehemaligen Bundesligaspieler Thomas Broich während dessen Zeit in Australien bei Brisbane Roar trainiert hatte, sprach ich ihn auch darauf an. Wir hatten sofort einen super Draht zueinander. Bevor ich aber von ihm eine Einladung für die Nationalmannschaft bekam, wollte er mich in Aktion sehen.
Zwischen Wiesbaden und Guam liegen rund 11.800 Kilometer oder fast 18 Flugstunden. Was haben Sie gemacht?
Krüger: Der Fußballverband von Guam ist nicht so gut aufgestellt, dass er einen Scout nach Deutschland schicken könnte. Mein Kumpel Benjamin hat dann meine Spiele im Verein auf Video festgehalten. Auf einigen Sportplätzen wurde es eher belächelt, dass da jemand mit einer Kamera auftaucht, und das hat auch für viele Fragen gesorgt. Ich habe aber eine einmalige Möglichkeit gesehen und die Videos dann nach Guam geschickt.
Die Mühen haben sich gelohnt, wie Ihre erste Länderspiel-Nominierung gezeigt hat.
Krüger: Das stimmt. Nur mit einem Einsatz hat es leider nicht geklappt. Es hat mich schon hart getroffen, dass ich auch gegen Syrien nicht gespielt habe. Dabei konnte ich meiner Meinung nach schon mit dem Niveau der anderen Spieler mithalten und mich gut präsentieren. Wenn man nominiert ist, will man natürlich mehr und auch zum Einsatz kommen. Aber auch so war es eine unglaubliche Erfahrung, die ich später noch meinen Enkeln und Urenkeln erzählen werde.
Haben Sie sich denn auch ein Souvenir gesichert?
Krüger: Das habe ich. Schon am ersten Tag bei der Nationalmannschaft sagte ich zu unserem Zeugwart: Egal, wie viele Trikots von mir da sind, ich muss sie alle mitnehmen. (lacht) Die zwei Heim- und Auswärtstrikots musste ich zwar aus der eigenen Tasche zahlen, das war es mir aber wert. Am nächsten Morgen nach dem Spiel in China war unsere Partie groß in einer chinesischen Tageszeitung abgedruckt. Die habe ich auch noch mitgenommen.
Wurden denn von Nationaltrainer Dodd weitere Nominierungen in Aussicht gestellt?
Krüger: Er hat mir bescheinigt, dass ich mich seit dem Trainingslager 2018 in Japan deutlich gesteigert habe. Vor allem, was die Fitness angeht. Ich bin eigentlich ganz zuversichtlich, dass ich beim nächsten WM-Qualifikationsspiel am 20. November auf den Malediven dabei sein werde. Ich müsste eigentlich schon zeitnah eine Rückmeldung bekommen. Ich bin jedenfalls bereit dafür.
Autor/-in: Dominik Dittmar/MSPW