Die ersten Programmhefte bei Fußballspielen gab es in England bereits im 19. Jahrhundert. Für manche Fans sind sie viel mehr als Beiwerk zum Spiel. Marcel Dussling sammelt seit mehr als 30 Jahren Stadionhefte. Der 39-Jährige betreibt die Homepage Stadionheft.de und ist Mitglied in der "Deutschen Programmsammler Vereinigung". Im Interview spricht Dussling, der Fan und Mitglied des VfB Stuttgart ist, über besondere Schätze, eine lange Suche und die Tradition der Stadionprogramme.
FUSSBALL.DE: Herr Dussling, mal angenommen, Sie könnten lediglich drei Programmhefte behalten. Welche wären das?
Marcel Dussling: Zuerst einmal hoffe ich, dass das nie passieren wird.
Nur als Gedankenspiel.
Dussling: Gut, also: die erste Ausgabe des VfB-Heftes „Stadion Aktuell“ im Oktober 1976 in der 2. Liga gegen den FC Homburg. Das Programm vom Stuttgarter Auswärtsspiel bei 1860 München 1939 und das Jahrbuch zum 50. Jubiläum des VfB. Da gibt es zwei verschiedene Drucke der ersten Seite. Einmal in Rot und einmal in Gold für Funktionäre. Und dann muss ich noch ein Viertes nennen.
Wir sind gespannt.
Dussling: Die VfB-Vereinsnachrichten aus dem Jahre 1930. Davon gibt es nur noch drei Exemplare.
"Programme sind doch viel mehr als eine Sitzunterlage. Sie sind ein Bindeglied zwischen Verein und Fans. Es geht um Hintergrundinfos, zum Beispiel um Hobbys von Spielern"
Sammeln Sie ausschließlich Programme des VfB Stuttgart?
Dussling: Auf Profi-Ebene ja. Als Sammler muss man sich irgendwann auf Klasse statt Masse beschränken. Das ist auch eine Frage des Platzes.
Wo bekommen Sie die Hefte her?
Dussling: Bei Heimspielen bin ich meist im Stadion. Die Auswärtsspiele haben wir uns zu dritt aufgeteilt: Einer ist immer an der Reihe, drei Hefte zu organisieren. Ältere Programme suche ich bei ebay, bei einem Sportverlag oder auf Sammlerbörsen.
In welcher Form hat das Internet Ihr Hobby verändert?
Dussling: Es hat vieles leichter gemacht. Früher war es abenteuerlicher. Tauschlisten wurden von Sammlern handschriftlich erstellt. Wenn du einem Verein einen Brief geschrieben hast, kam nach drei Wochen eine Antwort mit dem Vermerk „das Programm ist aus.“ Heute dauert das fünf Minuten. Kuverts aus der DDR wurden oft an der Grenze geöffnet und kontrolliert – wenn Programme sprechen könnten, hätten sie einiges zu erzählen.
Wie viele Exemplare haben Sie?
Dussling: Ohne die Doppelten um die 3000.
Die benötigen viel Platz.
Dussling: Momentan brauche ich für meine Sammlung anderthalb Zimmer, alles ist in Aktenordnern in Klarsichthüllen verstaut und nach Jahrgängen geordnet. Ich achte auf die richtige Temperatur von 15 bis 17 Grad und eine Luftfeuchtigkeit um die 50 Prozent in den Räumen. Sonst nehmen die Hefte Schaden.
Bis wann reicht Ihre Sammlung zurück?
Dussling: Seit Einführung der Bundesliga ist sie nahezu komplett. In den 50er Jahren sieht es auch gut aus. Vor dem Zweiten Weltkrieg wird es schwierig. Da ist sehr viel verbrannt oder verschwunden.
Wie dürfen wir uns das vorstellen: Stehen Sie am Regal und denken Sich, „jetzt schaue ich mal ins Programm gegen Hertha BSC in der Saison 1997/98“?
Dussling: Manchmal schwelge ich schon in Erinnerungen, aber das ist nicht meine Tagesaufgabe ( lacht ). Ich bekomme öfter Anfragen zu bestimmten Programmen von Buchautoren oder für Diplomarbeiten und Dissertationen. Da freue ich mich jedes Mal sehr drüber, weil es zeigt, dass von anderer Seite Interesse an meinem Hobby besteht.
Wie lange brauchen Sie, um ein Exemplar zu finden?
Dussling: Ein paar Sekunden. Ich habe alles im Computer gelistet. So behalte ich den Überblick.
Gibt es Programme, die sie schon richtig lange suchen?
Dussling: Hefte aus den 30er Jahren oder früher zu kriegen, ist großes Glück. Intensiv suche ich nach dem Programm zum DFB-Pokalspiel der VfB-Amateure gegen die Profis im Jahr 2000.
Wie konnte Ihnen das durch die Lappen gehen?
Dussling: Ich konzentriere mich ja hauptsächlich auf die Profis. Und da ist mir das leider durchgerutscht. Ich suche seit 14 Jahren, habe auch schon in der Druckerei gefragt, aber bisher ohne Erfolg.
Programmhefte haben eine lange Tradition. Wie haben sie sich verändert?
Dussling: Anfangs stand die Mannschaftsaufstellung und ein bisschen Werbung drin. Heute sind das dicke Hefte, richtige Hochglanzmagazine.
Kann man die Hefte von Amateurclubs mit denen der Profivereine vergleichen?
Dussling: Kaum. Bei den Profis sind Agenturen beauftragt. Im Amateurbereich sind sie oft heute noch getackert. Da läuft fast alles über ehrenamtliches Engagement und sehr viel Leidenschaft. Das Heft soll darüber informieren, was im Verein los ist.
Befürchten Sie in der Zukunft ein Ende der Tradition der Programmhefte?
Dussling: Das wäre eine Katastrophe. Programme sind doch viel mehr als eine Sitzunterlage. Sie sind ein Bindeglied zwischen Verein und Fans. Es geht da nicht um Tabellen oder Ansetzungen, die kennt jeder. Es geht um Hintergrundinfos, zum Beispiel um Hobbys von Spielern. Programme werden vor, während und nach dem Spiel gelesen. Das war bei meinem ersten Besuch beim VfB gegen Eintracht Frankfurt 1981 mit meinem Großvater so. Und das ist heute noch so.
Aber einige Profiklubs fahren den Umfang der Programme zurück oder bieten sie nur noch als pdf-Datei an.
Dussling: Das ist richtig. Aber ich glaube nicht, dass das flächendeckend wird. Programmhefte werden nicht aussterben!
Autor/-in: Sebastian Schlichting