Kaum ein deutscher Fußballverein kann wohl von sich behaupten, gegen den Rekordmeister Bayern München eine positive Pflichtspielbilanz zu haben – der Verbandsligist 1. Hanauer FC 1893 schon. In den 50er-Jahren wird der große FC Bayern sogar einmal mit 4:1 deklassiert. Später beginnt ein Aufstieg bis in die 2. Liga, anschließend die Talfahrt bis zur Kreisliga. Hanau 93 ist Hessens ältester Fußballklub und eines der Gründungsmitglieder des DFB. Vor einer Woche wurde der 125. Geburtstag imposant gefeiert und auf die Historie zurückgeblickt.
In der Gaststätte „Mohr“ an der Krämerstraße in Hanau sitzen vor 125 Jahren am Abend des 23. März 1893 zehn Männer zusammen. Sie alle haben ein ungewöhnliches Hobby: Sie spielen gerne Fußball. Turnen, Fechten oder Schwimmen – das sind angesagte Sportarten in Zeiten von Kaiser Wilhelm II. Fußball ist damals eher eine Randsportart. Dennoch schließen sich Ernst Schönfeld, Fritz Houy, Wilhelm Reinhard, Hans Walzig, Jan Zeh, Albert Fecher, Robert Ledergerber, Philipp Ohm, Otto Roessler und Heinrich Tigges zusammen und gründen den 1. Hanauer Fußball Club 1893. Es ist die Geburtsstunde des ersten hessischen Fußballvereins und einem der ältesten ganz Deutschlands .
"Können voller Stolz behaupten, positive Pflichtspielbilanz gegen Bayern zu haben"
Nach der Gründung geht es ganz schnell: Nur ein Jahr später, 1894, sollen die Hessen im Finale der ersten Deutschen Meisterschaft gegen den heutigen Regionalligisten Viktoria Berlin antreten. Aber dazu kommt es nicht. „Der Verein konnte das Fahrgeld für die Reise nach Berlin nicht auftreiben und nahm deshalb nicht am Endspiel teil. Sponsoren oder andere Gönner waren damals noch nicht bereit, eine Sportart wie Fußball zu unterstützen“, erzählt Hanaus Vereinssprecher Hans Jung im Gespräch mit FUSSBALL.DE . Und so ging der Meistertitel kampflos an die Viktoria. Die historische Chance verpasst.
{{photo.caption}}
{{photo.copyright}}
Doch die 93er scheinen einen langen Atem zu haben: 2007, 113 Jahre später, wird das Endspiel zwischen beiden Teams nachgeholt. Zum Hinspiel ins Hanauer Herbert-Dröse-Stadion kommen damals über 5000 Zuschauer. Es gibt einen riesigen Medienhype, Hanau 93 steht kurzzeitig wieder im Rampenlicht. Aber: Erneut geht der Titel nach Berlin. In Hanau verliert der damalige Bezirksligist mit 0:3. Nach der diesmal gelungenen Reise nach Berlin reicht es im Rückspiel immerhin zu einem 1:1. „Das war ein richtiges Fußballfest und ist bis heute ein Höhepunkt unserer Vereinsgeschichte“, erinnert sich Jung dennoch gerne an diese ganz besonderen Spiele zurück.
Was zwischen dem ersten und zweiten Aufeinandertreffen mit Viktoria passiert, ist ein ständiges Auf und Ab: Zweimal gewinnt Hanau 93 den Hessenpokal, spielt in den 1950er und 1970er-Jahren zeitweise sogar in der 2. Liga Süd. Dort treffen die Hanauer in der Saison 1955/1956 unter anderem auch auf den FC Bayern München. In einem legendären Heimspiel gewinnt der Underdog mit 4:1 und erkämpft sich im Rückspiel im Stadion an der Grünwalder Straße ein Remis. Die Sportpresse ist begeistert. Für Jung etwas ganz Besonderes: „Heute können wir voller Stolz behaupten, eine positive Pflichtspielbilanz gegen Bayern zu haben.“ Damit sind die Hessen wohl einer der wenigen deutschen Klubs.
1987 folgt der leise Abstieg in die Bezirksliga. 1995 der Tiefpunkt mit dem Gang in die Kreisliga. Von einem Aus des Traditionsklubs ist schon die Rede, auch das vereinseigene Gelände an der Kastanienallee muss man unter Schuldendruck verlassen. Dennoch gibt es für Jung, der auch dem Klubvorstand angehört, keinen anderen Verein: „Ich war fünf Jahre alt, als mich mein Großvater nach Hanau ins Stadion mitgenommen hat. Das ist jetzt 60 Jahre her. Ich bin 93er und werde es auch immer bleiben. Meine Bindung zu diesem Verein ist besonders.“ Das merkt man ihm auch sofort an: Er kennt die Geschichte von Hanau 93 in und auswendig, berichtet begeistert über jede einzelne Spielzeit. Aktuell ist Jung durch das Jubiläumsjahr viel beschäftigt und hat unter anderem dabei geholfen, eine Fotoausstellung ins Leben zu rufen. Alles ehrenamtlich und aus Liebe zum Verein.
Standing Ovations in Gaststätte
Es habe immer Menschen gegeben, die sich diesem Klub eng verbunden gefühlt haben und die die Initiative ergriffen haben, sagt Jung. So auch der Ehrenvorsitzende Heinz Blum, mittlerweile 88 Jahre alt, der es sich nicht nehmen ließ, den Klub als damals 80-Jähriger noch zu führen.
Letzen Freitag, am 23. März, also exakt 125 Jahre nach dem Gründungsabend des Vereins, feierte Hanau 93 seinen Geburtstag im Comoedienhaus, einem kleinen Theater in Hanau. Natürlich war auch Blum unter den rund 150 Gästen und wurde für sein Engagement rund um den Verein mit tosendem Applaus und Standing Ovations bedacht. Sogar die legendäre Zweitliga-Mannschaft von 1978 war samt Trainer zum Großteil anwesend und poste gemeinsam mit der aktuellen Truppe um Kapitän Kahraman Damar. Oberbürgermeister Claus Kaminsky, selbst glühender 93er, blickte in seiner Festansprache auf die bewegte Vereinshistorie zurück.
Ihn wie auch Blum dürfte es freuen, dass es beim hessischen Traditionsklub aktuell wieder steil bergauf geht. „Seit etwa vier Jahren läuft es richtig gut. Unser Sportlicher Leiter Giovanni Fallacara hat ehrgeizige Ziele und will in die Hessenliga“, sagt Jung. Das Trainerduo Christoph Prümm und Slavisa Dacic kann für diese Vision auf prominente Ex-Profis zurückgreifen: Ervin Skela, Michael Fink und Daniyel Cimen haben mehrfach in der Bundesliga gespielt. Als Aufsteiger steht der 1. Hanauer FC in der Verbandsliga derzeit auf Rang drei, nur sechs Punkte fehlen zum Relegationsplatz. Zwar sind Duelle mit den Bayern oder Endspiele um den Bundesliga-Titel inzwischen Lichtjahre entfernt, dennoch haben die zehn Männer in der Gaststätte „Mohr“ vor 125 Jahren einen besonderen Fußballklub ins Leben gerufen.