Robert Lewandowski fehlt beim Training. Das könnte in diesen Tagen Anlass für riesige Schlagzeilen sein. Auf dem Kunstrasen des Fredy-Stach-Sportparks in Spandau bleiben aber alle gelassen. Eigentlich wollte er kommen, heißt es. Er habe es nach der Arbeit nicht mehr geschafft, sagt Lewandowski tags darauf. Halb so wild. Er trägt zwar einen großen Fußballer-Namen, spielt aber nur zum Spaß. Beim Polnischen Olympia Club (POC) in der Freizeit-Landesliga. In der Parallelstaffel ist der FC Polonia aktiv, der zweite polnische Verein in Berlin.
"Will der uns veralbern?", diese Reaktion auf seinen Namen kennt Robert Lewandowski seit den Anfängen seines Namensvetters bei Lech Posen (2008 – 2010). "Ich habe es erst geglaubt, als ich den Ausweis gesehen habe", sagt Sebastian Siekiera, 1. Vorsitzender beim POC. An diesem Donnerstag trifft das polnische Team mit Topstar Robert Lewandowski bei der EM auf Deutschland, ein großes Ereignis auch für die Polen in Berlin. Nach Angaben des Amtes für Statistik Berlin-Brandenburg lebten hier Ende 2015 insgesamt 106.889 Polen und Deutsche polnischer Herkunft. Sowohl bei Olympia als auch bei Polonia wird das Spiel in großen Runden gemeinsam geschaut.
"Ich habe es erst geglaubt, als ich den Ausweis gesehen habe"
2012 zog Olympias Lewandowski, dessen Frau wie die des Bayern-Stürmers Anna heißt, zum Studium hierher. Inzwischen arbeitet er als Disponent bei einem Hersteller für Hydraulikpumpen. Stammspieler in der Offensive beim POC ist er nicht: "Wir haben vorn sehr gute Leute. Ich bin eher Reserve." Zudem beansprucht sein großes Hobby Motorradfahren Zeit. Mit Ehefrau Anna nimmt der 31-Jährige an Orientierungsfahrten teil, eine vorgegebene Strecke muss auf dem kürzesten Weg bewältigt werden. Sie haben schon mehrere Preise gewonnen, zum Beispiel Motorradzubehör.
Ein Stück Heimat im neuen Land
Durch Mundpropaganda oder soziale Netzwerke werden viele Spieler auf die polnischen Klubs aufmerksam. Beide haben je zwei Mannschaften im Spielbetrieb, Olympias Ü 40 kickt unter dem Dach des Berliner Fußball-Verbandes. Fußball ist wichtig beim Polski Klub Olimpijski, so der polnische Name, aber neue Spieler schätzen auch andere Dinge: vertraute Sprache oder Unterstützung bei Behördengängen. Ein Stück Heimat im neuen Land. "Wir helfen bei der Integration", sagt Siekiera. Er kam 1992 mit seiner Familie aus Schlesien. Beim Training spricht der 37-Jährige meist Polnisch. Ansonsten Deutsch mit Berliner Zungenschlag.
Die Spieler stammen aus allen Teilen Polens, einige waren schon bei der Gründung 1989 dabei, manche sind erst vor wenigen Monaten hergezogen. Vor allem wegen der Arbeit. Es gibt 55 Mitglieder, gut 30 Mann sind heute beim Training, darunter einige Neulinge. "Die Spielstärke ist egal", sagt Siekiera. Der Zulauf ist groß in letzter Zeit. Er zeigt auf einen Mann im grünen Leibchen, "unser Aushängeschild" – Janusz Galuszka (53) bestritt in Polen mehr als 200 Erstligaspiele, unter anderem für Wisla Krakau und Pogon Stettin.
Während Olympia noch vor der politischen Wende in West-Berlin mit Unterstützung des Nationalen Olympischen Komitees Polens entstand, ist der FC Polonia ein junger Verein. 2012 spielten ein paar Freunde zunächst im Park, rasch folgte die Vereinsgründung. Heimspiele finden auf dem Sportplatz Borsigpark in Tegel statt. Die erste Mannschaft stieg bisher immer auf, nun wird sie sehr wahrscheinlich in die Verbandsliga hochgehen, die oberste Liga des Freizeitbereichs.
Daumendrücken für Polen
Momentan gibt es rund 40 Spieler, Tendenz auch hier stark zunehmend. Das Engagement endet bei beiden Vereinen nicht an der Seitenlinie. Olympia etwa ist bei Benefizturnieren dabei, Polonia hatte einen eigenen Stand bei einem polnischen Fest in Reinickendorf. Der zweite Vorsitzende Adam Oelschläger (30) stieß nach einem beruflich bedingten Umzug aus der Nähe von München zu Polonia. Die Familie stammt wie jene von Siekiera aus Schlesien und lebt seit 27 Jahren in Deutschland. Einige Spieler seien schon in Berlin geboren worden, polnische Wurzeln hätten alle: "Aber das ist nicht Bedingung, wir freuen uns über jeden."
Vor knapp drei Jahren haben die Teams in der Liga gegeneinander gespielt, jeder gewann eine Partie. Über 100 Zuschauer, gemeinsame Grillparty nach Abpfiff. Mittlerweile sind sie sportlich nach oben geklettert, letztens ging es bei einer Partie im Rahmen eines Turniers hitzig zu. "Die Rivalität hat zugenommen", sagt Olympias Siekiera. Polonias Oelschläger stimmt zu, "aber alles im normalen Bereich".
Beim EM-Spiel Deutschland gegen Polen sind die Sympathien eindeutig verteilt: "Da bist du Pole, ganz klar", sagt Siekiera. Sein Tipp: 3:2. Er habe in seinem Verein noch von keinem gehört, der nicht für Polen ist, berichtet Oelschläger, der 2:1 prognostiziert. Für Polen. Und Olympias Robert Lewandowski? Erwartet ein Unentschieden, mit einem Tor des anderen Robert Lewandowski.
Dieser Text ist am 15. Juni in der Berliner Morgenpost erschienen
Autor/-in: Sebastian Schlichting