Wer junge Leute für die Schiedsrichterei begeistern will, muss Werbung machen – und zwar von Angesicht zu Angesicht. Das ist die Meinung von Sören Thalau. Der 24-Jährige pfeift in der Oberliga für den VfL Westercelle. Dort ist er Schiri-Obmann, im Kreis-Ausschuss gar stellvertretender Lehrwart. In der neuen Ausgabe des Schiri-Blogs erzählt Thalau, worauf es in der Nachwuchsarbeit ankommt.
Knapp elf Jahre ist es nun her, ich war U 14-Spieler und wir hatten Training. Unsere Trainer unterhielten sich, dass für ein Spiel der U 11 in der Sportwoche noch kein Schiedsrichter gefunden werden konnte. Ich hörte dieses Gespräch mit und bot mich einfach proaktiv für das Spiel an, ohne zu wissen, was auf mich zukommen würde. Das vereinsinterne, wenig anspruchsvolle Spiel brachte ich problemlos über die Bühne. Anschließend wollte ich mich sofort zum Schiri-Lehrgang anmelden – auch, weil die Trainer mir bescheinigten, dass ich das ordentlich machte, und mir vor dem Spiel die Nervosität nahmen. Ein halbes Jahr später war ich endlich 14 und durfte den Anwärter-Lehrgang absolvieren.
Zur richtigen Zeit am richtigen Ort
Dass ich bis heute am Ball geblieben bin, lag sicherlich auch daran, dass ein Schiri der Landesliga ein Dorf weiter wohnte und nun nicht mehr 25 Kilometer fahren musste, um seine Assistenten abzuholen. Von Beginn an nahm er mich bei sich an der Linie mit und ich konnte super viel von ihm lernen. Gleichzeitig war er Lehrwart in unserem Kreis, was bedeutete, dass er den kürzesten Draht zu den Ansetzern für neutrale Spiele im Herrenbereich hatte. Natürlich habe ich davon profitiert, dass ich aus meinem Jahrgang derjenige war, der bei den "Entscheidern" präsent war. Viel mehr Möglichkeiten der Jugendförderung gab es bei uns damals nicht. Im gesamten Bundesgebiet sind wir mittlerweile deutlich weiter. Angesichts der rückläufigen Zahlen aktiver Unparteiischer ist das aber auch mehr als notwendig.
"Viele Arbeitgeber reagieren äußerst positiv, wenn 'Schiedsrichter' im Lebenslauf steht"
Heute werden neue Schiedsrichter in ihren ersten Spielen von erfahrenen Schiedsrichtern als Pate begleitet. Das Ganze gipfelt aktuell in der aus meiner Sicht überragenden Aktion des DFB "Profi wird Pate" , bei der die Schiris der Profiligen junge Schiris in den ersten Spielen begleiten. Vielerorts werden aktuell Headsets angeschafft, um schon während des Spiels kleine Verbesserungs-Tipps zu geben. Früher beschränkte sich das Feedback auf die Halbzeit oder eine Nachbesprechung.
Das Headset ist die weitaus beste technische Neuerung, um junge Kollegen optimal zu fördern: Wenn ich als Hauptschiri einen neuen Assistenten in einem seiner ersten Spiele an der Linie habe, kann ich ihn schon während des Spiels coachen und ihm in der einen oder anderen Situation den Respekt vor Entscheidungen nehmen. Manchmal durch einfachen Smalltalk, um Lockerheit zu gewinnen.
Darüber hinaus gibt es vielerorts Talent- oder Förderkader, bei denen regelmäßig mit Nachwuchstalenten Lehrgänge absolviert werden. Einerseits werden Potenziale so viel schneller entdeckt, andererseits wird der Nachwuchs viel gezielter gefördert als auf Lehrabenden mit Dutzenden von Schiris von 14 bis 80 Jahren.
Wie man neue Schiris gewinnt
Bis es an die ersten Einsätze geht, ist die schwerste Aufgabe, junge Fußballer für die Anmeldung zu begeistern. Mittlerweile haben viele Kreise eine eigene Seite auf Facebook oder Instagram , um für Neulings-Lehrgänge zu werben. Viel wichtiger ist es aber, an die Trainer der Jugend-Teams heranzutreten oder – noch besser – als aktiver Schiri vor Ort zu sein und beim Training Werbung zu machen. Viele der Jungs und Mädels haben mich als Schiri schon einmal wahrgenommen, das hilft.
Zu Beginn des Jahres bin ich das erste Mal persönlich in unserem Verein an die Teams herangetreten, habe von den Vorzügen wie Spesen oder dem freien Eintritt zu DFB-Spielen erzählt. Viele waren sofort begeistert. Noch viel wichtiger war aus meiner Sicht, zu den beim Training anwesenden Eltern zu gehen. Gerade bei Jugendlichen haben Eltern manchmal etwas Respekt aufgrund der negativen Berichterstattung. Doch auch hier konnten letzte Zweifel beseitigt werden. In Summe hatten wir so viele Anwärter wie noch nie. Diese persönliche Betreuung vor Ort hilft uns weiter. Deshalb finde ich die Paten-Aktion des DFB auch so gut.
In der Akquise neuer Talente werden viele Kreise auch immer aktiver. In meinem Nachbarkreis waren zwei der höchstrangigen Schiris zuletzt bei einem Vereinsfest mit einem Infostand zu Gast. Ausgerüstet mit Assistenten-Fahnen sowie Gelben und Roten Karten nutzten die beiden die Möglichkeit, um mit Interessierten ins Gespräch zu kommen und Anmeldungen für den nächsten Lehrgang zu generieren. Auch wenn solche Aktionen zeitaufwändig sind und sich nur ein kleiner Teil dazu entschließt, längerfristig zu pfeifen, sind sie einer der wichtigsten Wege, um nicht noch mehr Leute zu verlieren.
Plötzlich Entscheider
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Wenn es dann zu den ersten Einsätzen kommt, egal ob als Schiri oder Assistent, haben viele zunächst großen Respekt davor, Entscheidungen zu treffen. Ich erinnere mich gut an mein erstes Spiel nach meiner bestandenen Prüfung: Nach wenigen Minuten gab es ein klares Foul im Strafraum. Ich überlegte, ob der Schiri nicht pfeifen wolle. Nach ein paar Sekunden merkte ich, dass ich ja der Entscheider bin und pfiff zum Glück den Strafstoß. Gemerkt hat es offenbar niemand, aber diese für mich ewig dauernden Sekunden sorgen bei mir bis heute dafür, dass ich den Respekt der Neulinge nachvollziehen kann.
Hier geht es aus meiner Sicht darum, die eigenen Erlebnisse zu teilen, die nötige Zeit für die Entwicklung einzuräumen und an die eigene Geduld zu appellieren. Bis heute hilft mir, in den Dialog mit allen Aktiven zu gehen: Feedback von den Assistenten einholen, Spieler fragen, ob sie die Entscheidung genauso gesehen haben oder nach dem Spiel, wenn die Emotionen abgekühlt sind, sich mit den Trainern über Spielszenen unterhalten.
Die Herausforderung, Entscheidungen im Bruchteil einer Sekunde zu treffen, teilweise mit einem Puls jenseits der 180, sind Stresssituationen. Trotzdem machen sie mehr Spaß, als man denkt. Nicht nur deswegen kann ich jedem Spieler empfehlen, mal in seinem Verein ein paar Spiele zu pfeifen. Das gesamte Spielmanagement und die Organisation um die Spiele herum haben mir bis heute beruflich weitergeholfen. Weiter wirkt sich das positiv auf meine Alltagsplanung und die richtige Wahl der Ansprache bei meinem Gegenüber aus. Übrigens: Viele Arbeitgeber reagieren äußerst positiv, wenn "Schiedsrichter" im Lebenslauf steht.
Die öffentliche Wahrnehmung
Mit den Maßnahmen, die der DFB aktuell im "Jahr der Schiris" trifft, ist aus meiner Sicht ein erster großer und wichtiger Schritt getan, damit die Zahlen wieder steigen. Eine Entwicklung der vergangenen Jahre ist mir aber besonders positiv aufgefallen: Während in meiner Anfangszeit ganz wenig über Schiedsrichter berichtet wurde – und wenn, dann nur negativ nach Ausschreitungen –, sind heute viele positive Berichte zu finden. Teilweise mit Einblicken in den Funkverkehr der Bundesliga-Schiris, wie zuletzt in der sehr gelungenen ARD -Doku "Unparteiisch". Auch "Qualle", der auf TikTok Ausschnitte aus seinen Spielleitungen zeigt, hilft aus meiner Sicht sehr, indem er das Thema jungen Kindern spannend vermittelt. Zudem sind viele Schiris mittlerweile auf Instagram aktiv und teilen dort Einblicke in ihre Gefühlswelt – auch nach nicht so gelungenen Spielen.
Bis heute machen mir die Gemeinschaft und die Freundschaften, die sich über die Jahre entwickelt haben, am meisten Freude. Durch die vielen Spielleitungen habe ich mit einigen Kollegen am Wochenende mehr Zeit als mit meiner Familie verbracht. Erst neulich war ich auf zwei wunderschönen Hochzeiten – beide von Schiedsrichtern, die ich durch das Hobby kennengelernt habe und vermutlich nie getroffen hätte, wenn ich 2012 meinen Trainern nicht zugehört hätte.
DAS IST SÖREN THALAU
Ich bin seit 2013 Schiedsrichter für den VfL Westercelle.
Ich pfeife Oberliga.
Ich bin Schiedsrichter, weil ich den Fußball liebe und gerne Entscheidungen treffe sowie für Gerechtigkeit sorge.
Diese drei Wörter verbinde ich damit, Schiedsrichter zu sein: Persönlichkeitsentwicklung, Kommunikation, Gemeinschaft.