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Ängstlichkeit und Selbstüberschätzung seien potentielle Risikoverstärker, so Hermann. [Foto: 2014 Getty Images]
Welche psychologischen Folgen haben Verletzungen? Was spielt sich beim Bemühen um ein Comeback im Kopf ab? Was treibt Amateurfußballer überhaupt an, nach längerer Pause zurück aufs Spielfeld zu wollen? Wir haben mit keinem Geringeren als dem Sportpsychologen der deutschen Nationalmannschaft, Dr. Hans-Dieter Hermann, darüber gesprochen. Er hat dabei wertvolle Tipps auf Lager.
Fest steht: Schonhaltungen erhöhen das Risiko einer erneuten Verletzung. Weil das Zutrauen in die Bewegung entscheidend ist, rät Hermann auch zum mentalen Training.
FUSSBALL.DE: Dr. Hermann, gibt es die richtige psychische Haltung, um das Verletzungsrisiko zu minimieren?
Hans-Dieter Hermann: Nein, das kann man per se nicht sagen. Aber, umgekehrt betrachtet, sind hohe Ängstlichkeit und Selbstüberschätzung potenzielle Risikoverstärker.
Was passiert psychisch mit einem Fußballer, der sich schwer verletzt?
Hermann: Der Bänderriss oder ein Bruch führt auf einen Schlag zur enormen Veränderung des Lebensrhythmus. Der Amateurspieler erlebt die Auswirkungen kaum weniger drastisch als ein Profi, schließlich ist er plötzlich auch beruflich extrem eingeschränkt, bis hin zu finanziellen Nachteilen. Beruf und Hobby – plötzlich gibt es extreme Einschränkungen. Dem Profi dagegen passiert zunächst nicht viel, im Reha-Programm wird er von Spezialisten umsorgt, der Kontakt zur Mannschaft bleibt einigermaßen erhalten. Je nach Verlauf der Genesung können sich bei Langzeitverletzten jedoch psychische Belastungsreaktionen, wie Unsicherheiten, Ungeduld und Selbstzweifel ergeben.
"Unsicherheiten und Ängste entstehen erst bei längeren verletzungsbedingten Pausen von etwa zwei Monaten"
Und was ist los im Kopf des zurückkehrenden Fußballers nach der langen Verletzungspause?
Hermann: Im besten Fall geht er konzentriert, motiviert und ohne Selbstüberschätzung die ersten Spiele nach der Verletzung an. Etliche schützen ihren wiedergenesenen Körper jedoch unbewusst. Man unterscheidet zwischen Meidungshaltung und Schonhaltungen. Eine Meidungshaltung wäre etwa dem Tackling des Gegners auszuweichen. Eine Schonhaltung bedeutet, dass ehemals verletzte Gliedmaße nicht eingesetzt werden. Man bewegt sich also unökonomisch. Dadurch steigt die Wiederverletzungsgefahr. Langzeitverletzte können mit einer Ängstlichkeit ins Spiel zurückkehren und denken sich 'hoffentlich passiert nicht gleich wieder etwas'. Unter diesen Umständen ist motiviertes und selbstbewusstes Spielen schwierig.
Gerade Amateurspielern rate ich, definitiv erst dann wieder ein Punktspiel zu bestreiten, wenn er es sich wirklich zutraut, wenn man sich im Training stabil fühlt und wenn man der Bewegungen sicher ist. Erst wer wieder der Alte ist, sollte wieder in den Wettbewerb einsteigen. Nach der Verletzung beginnt für einen Fußballer eine sukzessive Wiederannäherung. Kürzere Verletzungszeiten werden meist ohne Komplikationen verarbeitet. In Untersuchungen haben wir festgestellt, dass psychische Probleme, etwa Unsicherheiten und Ängste, erst bei längeren verletzungsbedingten Pausen von etwa zwei Monaten entstehen.
Wie kann die Sportpsychologie helfen?
Hermann: Gerade nach einer längeren Verletzung muss der Spieler Bewegungsabläufe wieder auffrischen, praktisch neu erlernen, und das Zutrauen in die eigene Leistungsfähigkeit zurück gewinnen. Das funktioniert etwa auch über mentale Trainingsformen. Entscheidend an diesem Punkt der Rekonvaleszenz ist es, dass sich der Fußballer wieder bestimmte Bewegungen vorstellen kann. Wer diese Bewegung vor seinem geistigen Auge immer wieder aus Spielerperspektive ablaufen lässt, schult damit auch seine Fähigkeit.
Ein Stürmer, der gerne links fintiert, dann rechts vorbeizieht und abschließt, sollte sich genau diese Bewegungskette vorstellen. Denn Bewegungswissen wird gelöscht, wenn man zu lange pausiert. Die Phase des aktiven Wiedererlernens kann der Spieler durch ein konzentriertes Mentales Training verkürzen.
Wie behält der Spieler seinen Mut, wenn die Genesung extrem lange dauert?
Hermann: Der Verein und die Mannschaft sollten versuchen, gerade verletzte Spieler weiter in die Abläufe mit einzubeziehen, auf jeden Fall den Kontakt nicht abreißen zu lassen. Warum nicht einen verletzten Spieler zur Beobachtung des nächsten Gegners schicken? So eine vorübergehende Co-Trainerschaft kann gut funktionieren. Ohnehin ist der wertschätzende Dialog zwischen Trainer und dem verletzten Spieler sehr wichtig.
Brasilien war für Hans-Dieter Hermann bereits das fünfte große Turnier als Sportpsychologe der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Hermann, 55, arbeitete bereits mit Topathleten aus 20 Sportarten zusammen, so etwa mit dem österreichischen Ski-Nationalteam. Zuletzt erschien von Hans-Dieter Hermann "Make Them Go – Was wir vom Coaching für Spitzensportler lernen können".
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