In Maulbronn haben die Kinder die Eltern gezähmt. Mit Hilfe eines Büchleins, das auf dem Weg ist, ein Bestseller zu werden. Die erste Auflage ist bereits vergriffen, die zweite gerade gedruckt. Und die ersten Vereine aus der Umgebung wollen es bereits kopieren. „Wir sind richtig stolz“, sagt Heike Himmelsbach-Ihli vom TSV Maulbronn. Die Jugendleiterin des Klubs aus dem Nordschwarzwald war die Initiatorin und Mitautorin des „Leitfadens Jugendfußball“. Darin werden Spielern, Trainern und Betreuern des Vereins Verhaltensregeln mit auf den Weg gegeben – in erster Linie richtet er sich aber die Eltern der Kinder, die Wochenende für Wochenende für den TSV auflaufen. Die Maulbronner wollten nicht erst reagieren, wenn es eigentlich schon zu spät ist.
„Wir wollten die Bremse ziehen, bevor es ein Problem gibt“, sagt Heike Himmelsbach-Ihli, deren Mann und zwei Söhne beim TSV spielen. Aktive Gewaltprävention statt passiver Schadensbegrenzung. Der Jugendleiterin, die am Wochenende im Schnitt drei Spiele ihrer Jugendmannschaften an der Seitenlinie verfolgt, war das immer aggressivere Verhalten der Spieler, vor allem aber der Eltern am Spielfeldrand aufgefallen. „Sie wurden immer aktiver gegen Gegner und Schiedsrichter“, erzählt Heike Himmelsbach-Ihli. „Alles noch verbal, aber wir wollten einen Riegel vorschieben, bevor etwas passiert.“
Angestauter Frust aus der Arbeitswoche
Also setzte sich die Jugendleiterin mit drei ihrer Trainer zusammen und verfasste den Leitfaden. Neben Banalitäten wie dem Verbot, im Vereinstrikot zu essen, enthält die 16-seitige Schrift vor allem Verhaltensregeln für die Eltern, in einfacher Sprache formuliert, damit es alle Angehörige - beim TSV Maulbronn kicken Spieler aus neun verschiedenen Nationen - auch verstehen. Denn die Angehörigen würden den angestauten Frust aus der Arbeitswoche vermehrt am Wochenende bei den Spielen ihrer Kinder rauslassen, sagt Himmelsbach-Ihli. Väter würden ihre Söhne beleidigen, um sie anzupeitschen. „Die sollen ja schließlich übermorgen schon in der Bundesliga spielen“, meint die Jugendleiterin süffisant. „Man kennt ja seine Pappenheimer.“
„Der Stress im Alltag hat zugenommen, hier soll er dann abgebaut werden. Aber dafür sind wir als Verein nicht da“
Deshalb heißt es im Kodex: „Das Zeigen von Enttäuschung durch negatives Zurufen oder abfällige Kommentare am Spielfeldrand unseren Spielern/Spielerinnen und den Gegnern gegenüber ist fehl am Platze. Die Eltern sollen eher durch Anfeuern und Aufmunterung dazu beitragen, dass ihr Nachwuchs Spaß, Freude und Begeisterung durch Fußball erleben kann.“ Auch für die Maulbronner Trainer und Betreuer gilt: „Trainer und Betreuer äußern Kritik in positiver und konstruktiver Form. Auf die Spieler/-innen wird lobend und motivierend Einfluss genommen. Der Ton macht die Musik. Die Trainer und Betreuer sind sich ihrer Vorbildfunktion bewusst. Jugendtraining darf nie ein reduziertes Erwachsenentraining sein.“
„Der Stress im Alltag hat zugenommen, hier soll er dann abgebaut werden. Aber dafür sind wir als Verein nicht da. Bei uns steht der Spaß im Vordergrund“, sagt Heike Himmelsbach-Ihli. Dinge, die eigentlich selbstverständlich seien, wären nun im Leitfaden Schwarz auf Weiß festgehalten. Kinder hätten zu ihren Eltern gehen und sagen können: „Siehst du, Papa: Das, was hier steht, habe ich dir zu Hause schon immer gesagt.“
„Das hier ist nicht die Bundesliga“
Anfangs sei ihr Verhaltenskodex belächelt worden, berichtet Himmelsbach-Ihli. Dann habe er aber schnell angefangen zu wirken. „Eltern haben sich während der Spiele gegenseitig beruhigt und gesagt: denk an den Leitfaden.“ Mittlerweile sei die Schrift eine echte Erfolgsgeschichte. Himmelsbach-Ihli: „Er hat uns richtig was gebracht, die Kinder sind zufrieden.“ Und auch die meisten Eltern seien einsichtig gewesen, selbst die lautesten unter ihnen. „Anfeuern ist weiterhin nicht verboten“, sagt die Jugendleiterin. Aber die Eltern würden sich nun gegenseitig überwachen und bei Bedarf mäßigend eingreifen. Zudem begrüßt am Maulbronner Sportplatz ein Plakat die Gäste, auf dem unter anderem steht: „Es ist nur ein Spiel“ und: „Das hier ist nicht die Bundesliga“.
Und angelehnt an die mehrfach ausgezeichnete Amateurfußballkampagne des DFB druckten die Maulbronner T-Shirts für ihre Trainer mit Aufdrucken wie „Tagsüber Werkbank - Abends Jugendtrainer“. „Damit die Eltern sehen, dass wir das alle ehrenamtlich nebenbei in unserer Freizeit machen und auch noch einen eigentlichen Job haben“, erklärt Himmelsbach-Ihli. Auch dadurch sei der Respekt vor den Trainern noch einmal angewachsen. Bald werden sie das Büchlein nicht mehr brauchen in Maulbronn.
Autor/-in: Arne Leyenberg