Herbert Lampey dreht seine späte Runde. Vom Vereinsheim des SV Straelen aus steuert er den neuen Kabinentrakt an. Schnell kommt Lampey nicht voran. Das liegt nicht an seiner Fitness, die stimmt beim 85-Jährigen nach wie vor. Das liegt vielmehr an den vielen Schulterklopfern, die Lampey unterwegs bekommt. An den lockeren Sprüchen, die er austeilt. Der Jugendleiter kennt sie an der Römerstraße alle. Und alle Spieler kennen Lampey: vom Torwart der Landesliga-Senioren bis zum Mittelstürmer der F4-Junioren. „Da sind sogar einige bei, deren Großväter ich schon trainiert habe“, sagt Lampey.
Es klingt unglaublich. Doch Lampey kann alles belegen. Er öffnet die Tür zu seinem Archiv und nimmt den Besucher mit auf eine Zeitreise. Auf einem Tisch liegt ein dickes Ringbuch, die Titelseite schmückt das grün-gelbe Logo des SV Straelen. Es ist Lampeys persönliche Chronik. Wer sie durchblättert, erfährt, dass der Verfasser dem Klub vom Niederrhein bereits 1946 beitrat. 1957 übernahm Lampey dann den Posten des Jugendleiters. Konrad Adenauer war damals Bundeskanzler, die Sowjetunion läutete mit Sputnik I das Raumfahrt-Zeitalter ein und Borussia Dortmund gewann mit Kapitän Adi Preißler die Deutsche Meisterschaft. Lang, lang ist es her.
Jos Luhukay fing in Straelen an
Da sich seitdem auch im Straelener Fußball so viel getan hat, besteht Lampeys Chronik aus drei Bänden. „Anspruch auf Vollständigkeit erhebe ich aber nicht. Dafür bräuchte ich noch viel mehr Bände“, erklärt das Straelener Urgestein. Er hat zweieinhalb Jahre Material gesichtet, sortiert und vervielfältigt – dann war das Werk vollendet. In der Chronik finden sich Kopien aller Urkunden wieder, die Lampey für 88 gewonnene Meisterschaften als Jugendtrainer bekam. Auch die Berichte über die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an den Straelener sind drin. Fotos von seinen Teams oder von Treffen mit Jesse Owens, Wolfgang Overath und Sepp Herberger dürfen nicht fehlen. Jos Luhukay ist in der Chronik übrigens omnipräsent. Der Ex-Coach von Hertha BSC startete einst seine Karriere in Straelen und verbrachte auch viel Zeit mit Lampey.
"Bobek haben sie ihn damals genannt"
„Die Originale der Bilder sind alle bei mir zuhause“, sagt der Jugendleiter. Dort hat er sich ein kleines Fußballmuseum auf 16 Quadratmeter eingerichtet. „Wenn ich mal das Zeitliche segnen sollte, dann landen die ganzen Wimpel, Urkunden und Artikel mit Sicherheit im Müll. Deshalb habe ich alles für die Chronik kopiert“, erklärt Lampey. Auch die Fotos von internationalen Begegnungen hat er auf diese Weise gesichert. Lampey förderte stets den Austausch zwischen jungen Fußballern vom Niederrhein mit Nachwuchskickern aus Frankreich, Polen, Israel, Japan und den USA. „Mit vielen aus dem Ausland stehe ich immer noch in Kontakt, zum Teil seit über vierzig Jahren“, sagt er.
Norbert Peters hat das Engagement seines Weggefährten beeindruckt. „Er hat sein Leben stets nach dem SV Straelen ausgerichtet“, sagt der langjährige Fußballobmann. Peters kommt sofort eine Anekdote in den Sinn. Die Straelener Jugend hatte eine Tour nach Österreich geplant, doch es fehlte ein Kleinbus. „Also ist Herbert Lampey nach Düsseldorf zum Zoll gefahren und hat für den Verein einen alten Ford Transit ersteigert. Die Fahrt nach Österreich konnte starten“, erzählt Norbert Peters. In Straelen ist der Jugendleiter also auch eine Art Außenminister.
Mit Videobeweis zum Wiederholungsspiel
Jahrelang war Lampey auch der Kameramann des Vereins. Von einem Podest aus filmte er die Spiele der ersten Mannschaft. Eigentlich wollte Lampey den Trainern auf diesem Weg Material für die Analyse liefern. Doch einmal half ein Video seinem Klub auch vor der Spruchkammer. In der Oberliga Nordrhein ging es für den SVS gegen Tuspo Richrath. Der Gegner bekam einen Elfmeter. Ein Richrather traf mit seinem Schuss die Unterkante der Latte, der Ball sprang ins Feld zurück. Allerdings hatte der Schiedsrichter den Ball drin gesehen. Straelen unterlag und legte Protest ein. Bei der Verhandlung kam Lampeys Video als Beweismaterial zum Einsatz. Die Spruchkammer gab Straelen Recht und ordnete ein Wiederholungsspiel an.
Zur Kamera greift Lampey auf dem Sportplatz nicht mehr. Auch andere Aufgaben hat er abgegeben. Bis 2014 kümmerte Lampey sich noch um die Trikotwäsche aller Straelener Fußballer und trainierte auch noch ein Jugendteam. Nach einer Operation hörte er auf. Es ist aber nicht so, dass der ehemalige Postbeamte nun große Langeweile hätte. Sechs bis acht Stunden verbringt Lampey täglich an der Römerstraße. Schließlich muss er als Jugendleiter den Spiel- und Trainingsbetrieb von 16 Mannschaften koordinieren. Und auch im Archiv gibt es genug zu tun. Für die Seniorenmannschaften und einige Jugendteams stellt Lampey immer eine Saisonchronik mit Statistiken und Zeitungsartikeln zusammen – das macht er bereits seit 1985.
Doch zurück zur großen Chronik in drei Bänden. Lampey will zum Abschluss noch etwas zeigen. Er blättert und findet Bilder einer Begegnung zwischen Straelener Jugendfußballern und Altersgenossen aus Polen. 1999 waren die jungen Fußballer von MSK Vasovia Warschau am Niederrhein zu Gast. Einen schmächtigen Jungen hat Lampey auf den Fotos markiert. „Bobek haben sie ihn damals genannt“, sagt der Jugendleiter. Fußball-Fans – vor allem die des FC Bayern München – kennen Bobek heute unter seinem bürgerlichen Namen: Robert Lewandowski.
Weitere Folgen der Serie:
Teil 47: Mit 82: „Der Alte an der Pfeife“ hört auf
Teil 46: Der “Effenberg von Seeheim” macht Schluss
Teil 45: Karl-Heinz Pflumm: Der Freund der Schiris
Teil 44: Hauke Janssen: Deutschlands verrücktester Trainer
Teil 43: Jochen Baumann: Ältester Keeper Deutschlands?
Teil 42: Murat Karakas: Fladenbrot und Fallrückzieher
Teil 41: Robert Rosar: Feierbiest und Zahlengenie