Luzia Burgbacher steigt in ihr Auto und ruft uns zu: „Ich hoffe, dass ich keine Schlafkappe vor mir habe, dann schaffe ich es pünktlich zum Anpfiff.“ Mit diesem Satz endet unser rund einstündiges Interview mit der 56-jährigen Torhüterin des Sportvereins Titisee. Ihre abschließenden Worte beschreiben trefflich, welche energische und sportbegeisterte Frau in ihr steckt. Eine echte Kultfigur des Amateurfußballs eben - und damit ideal passend für unsere Serie.
"Heutzutage ist der zweite Geburtstag des Hamsters oftmals wichtiger als das Fußballtraining"
Aber von vorn. Es ist Freitagabend, 17.30 Uhr, und wir sind mit einer Torwart-Legende Südbadens verabredet. Die in Furtwangen im Schwarzwald geborene Burgbacher begrüßt uns im Clubheim des SV Titisee, dem Verein, dem sie seit vielen Jahren die Treue hält und der für sie zu einer wahren Familie geworden ist. Es ist ein Interview der leichten Art. Burgbacher redet gern und viel. Man hört ihr genauso begeistert ununterbochen zu. Sie versprüht Elan, Sportsgeist, Fußballfieber – eine wahre Powerfrau eben. Das Gespräch wandert auf der Zeitachse vor und zurück. Sie nimmt uns mit auf einen Trip durch ihr Leben zwischen den Alugestängen, nostalgisch und visionär zugleich.
Im Jahr 1972 fing sie im Alter von 14 Jahren an, in ihrem Geburtsort, genauer den dortigen Fußballclub 07 Furtwangen, zu kicken. Nach sechs schönen Jahren wurde sie dank ihrer starken Leistungen von dem zu damaligen Zeiten regional sehr anerkannten und höherklassig spielenden Fußballverein Donaueschingen abgeworben. Es war ein großer Schritt für sie. Denn parallel dazu wurde die gerade einmal 1,64 Meter große Torhüterin in die südbadische Auswahl berufen und erkämpfte sich dort mit ihrem enormen Trainingseinsatz die Nummer eins auf dem Trikot, die sie rund zehn Jahre trug.
Torwart-Trainerin bei den Männern
Mitte der 80er Jahre wechselte die Spielerin zurück zum SV Titisee, bevor sie wiederum zehn Jahre später erneut für den FV Donaueschingen und den FFV Grüningen zwischen den Pfosten stand. Seit dem Jahr 2009 ist sie auch als Torwarttrainerin in Titisee tätig, teils sogar für die Herrenmannschaft. Ihre Vorbildfunktion verstärkt sie obendrein mit einer 28 Jahre andauernden Tätigkeit als Schiedsrichterin. „Ich habe damals, ganz salopp gesagt, gewisse im Regeln im Fußball nicht verstanden und dachte mir, dieses Manko kann ich nur beheben, indem ich Schiedsrichterin werde“, so Burgbacher mit einem Lächeln. Sie wurde im Jahr 1976 eine der drei ersten weiblichen Schiedsrichterinnen in Südbaden.
Der Lohn für diesen Einsatz: Pöbeleien und Beleidigungen. „Wenn man damals als Frau zum ersten Mal bei einem Verein gepfiffen hat, bekam man das Misstrauen der Zuschauer durch persönliche Anfeindungen zu spüren. Einmal habe sie ein Jugendspiel geleitet und musste sich 20 Minuten durchgehend persönliche Schmährufe anhören. Dann ergriff sie eine Maßnahme, die „nach Regelkunde sicherlich nicht rechtens war, aber Wirkung zeigte“, so Burgbacher. Sie unterbrach das Spiel für über eine Viertelstunde, gesellte sich zu dem diskussionsfreudigsten Zuschauer und fing an zu reden – ohne Punkt und Komma, wie bei diesem Interview. „Sie sollten selbst einmal ein Spiel pfeifen, um zu spüren, wie schwierig das ist“ oder „Ich würde jetzt auch lieber hier draußen stehen und gemütlich etwas trinken“, so ihre locker-lässigen Argumente. Der Streithahn wurde kleinlaut und war den Rest der Partie mucksmäuschenstill. Im Anschluss an die 90 Minuten kamen die Trainer beider Mannschaften auf Burgbacher zu und haben sich bei ihr für diese konsequente Maßnahme bedankt.
Meisterin im Kraftdreikampf
Trotz ihres derart forschen Charakters reagiert Burgbacher auf die Frage, ob sie einen Traum oder irgendwelche Ziele habe, eher zurückhaltend. Sie möchte einfach weiterhin Spaß am Sport haben, gesund bleiben und würde gerne sehen, dass die Kinder und Jugendlichen das Vereinsleben wieder stärker schätzen. „Heutzutage ist der zweite Geburtstag des Hamsters oftmals wichtiger als das Fußballtraining“, bemerkt sie. Wer Burgbacher kennt, weiß allerdings, dass dieser Spruch mehr als eine beiläufige Anmerkung ist.
Für sie ist der Verein das Leben, die Mitglieder sind ihre Familie. Nicht umsonst leitet sie in ihrer fußballfreien Zeit zusätzlich den Sportverein 1969 Furtwangen als Vorsitzende, trainiert dort Rasenkraftsport und sammelte in den Kraftdreikampf-Disziplinen Steinstoßen, Hammerwerfen sowie Gewichtwerfen mehrfach deutsche Meistertitel. „Wenn es terminliche Überschneidungen gibt, hat der Fußball aber Vorrang, denn hier steht eine Mannschaft dahinter, für die ich da sein möchte“, so Burgbacher. Dann fällt ihr noch ein weiterer Wunsch ein: Die erste Damenmannschaft des SV Titisee, die vor zwei Jahren in die Verbandsliga abgestiegen ist, noch einmal in der Oberliga spielen zu sehen. An den aufleuchtenden Augen merkt man ihr an, dass es ein Wunsch mit viel Gewicht ist.
Gegen 18.30 Uhr verabschiedet sich Luzia Burgbacher von uns. Schnell noch ein Bild am Clubheim, aber dann muss sie los. Sie ist in Eile, steht unter Strom – eigentlich wie immer, wenn es um Fußball geht. Sie will rechtzeitig zum Anpfiff des Freundschaftsspiels SV Buchenbach gegen ihren SV Titisee im Tor der zweiten Damenmannschaft stehen. Burgbacher hat es pünktlich geschafft.
Leider musste sie an diesem Abend dreimal hinter sich greifen und das Spiel ging mit 2:3 verloren. Nur wenige Minuten nach der Partie schickt sie uns eine SMS mit dem Endstand und den Worten: „Spiel war soweit ok. Die Trainerin war mit uns zufrieden.“ Ihre Worte beweisen erneut: Luzia Burgbacher möchte nicht auslernen. Auch nach mehr als 43 Jahren aktivem Fußballgeschehen verinnerlicht sie die Kabinenworte der Verantwortlichen. Sie nimmt weiterhin jeden sportlichen Ratschlag ernst, möchte sich verbessern, weiterkommen, will einfach mehr. Wir sind uns sicher: Luzia Burgbacher aus Furtwangen wird das halbe Jahrhundert als Torwart-Stammkraft vollmachen. Dann treffen wir uns wieder. Hand(schuh)schlag drauf.
Weitere Folgen der Serie:
Teil 54: Der Trainer-Trainer-Spieler: Markus Marburg ist Kult!
Teil 53: Hans Lubberich: Der 650-Kilometer-Chronist
Teil 52: Urgestein Karl Schmidt: Vorbild seit 1948
Teil 51: Mr. Meckinghoven: Wassereis statt Magnum Gold
Teil 50: Wie Treter Dieter Becker zum Kultschiri wurde
Teil 49: Chronist Lampey: Mit Lewandowski in Straelen
Teil 48: Mit 82: „Der Alte an der Pfeife“ hört auf
Teil 47: Marion Jochheim: Einmal Mutti, einmal Mutti
Teil 46: Der “Effenberg von Seeheim” macht Schluss
Teil 45: Karl-Heinz Pflumm: Der Freund der Schiris
Teil 44: Hauke Janssen: Deutschlands verrücktester Trainer
Teil 43: Jochen Baumann: Ältester Keeper Deutschlands?
Teil 42: Murat Karakas: Fladenbrot und Fallrückzieher
Teil 41: Robert Rosar: Feierbiest und Zahlengenie
Teil 40: ”Bredi” Breitenberger: Fan, Freund, Phänomen
Autor/-in: Martin Kleinert