Seit 75 Jahren ist Hans Stralkowski Mitglied beim Kölner Verein SV Westhoven-Ensen. Der heute 88-Jährige hat unter anderem jahrzehntelang als Schiedsrichter Partien geleitet, den Klub in schwierigen Zeiten finanziell unterstützt, die Linien gezogen, Netze eingehängt und Kuchen und Getränke verkauft - genügend Gründe also, ihn nun zum Ehrenmitglied zu machen. Stralkowski ist unsere FUSSBALL.DE-Kultfigur der Woche.
Ein Fingerzeig genügt Hans Stralkowski, um klarzumachen, was ihm besonders am Herzen liegt. Der 88-Jährige tippt auf eine Textpassage in der Festschrift zum 50. Bestehen des SV 31 Westhoven-Ensen . Der Jugend wolle man weiterhin eine gute Bleibe bieten, steht dort. „Damit ist doch eigentlich alles gesagt“, erklärt er. Stralkowski selbst hat diese Worte geschrieben. Das war 1981, als seine Haare noch dunkel und nicht silbergrau waren und er als Vorsitzender die Geschicke des Klubs aus dem Kölner Südosten lenkte. 35 Jahre sind seitdem vergangen. Vieles hat sich verändert. Doch die Sätze von damals haben nichts von ihrer Aktualität eingebüßt, da ist sich Stralkowski sicher. „Der Nachwuchs lag mir immer am Herzen und ich wünsche mir, dass der Verein sich auch künftig um die Jugendlichen kümmert“, sagt der Ehrenvorsitzende, dessen Mitgliedschaft sich 2016 zum 75. Mal jährt.
"Der Nachwuchs lag mir immer am Herzen und ich wünsche mir, dass der Verein sich auch künftig um die Jugendlichen kümmert"
Stralkowski weiß, wovon er spricht. Der Sport und sein Verein haben ihm in Jugendjahren Halt gegeben. Während in Deutschland das Nazi-Regime herrschte und der Zweite Weltkrieg die Menschheit ins Unglück stürzte, bot der Fußball Ablenkung und die Chance, Freundschaften zu schließen. Doch dieses Glück war im Februar 1944 vorerst vorbei. Stralkowski wurde erst zum Reichsarbeitsdienst und später in die Wehrmacht einberufen. An der Westfront erlebte er das letzte, vergebliche militärische Aufbäumen Hitler-Deutschlands und geriet schließlich in Gefangenschaft. „Kurz nach Kriegsende bin ich dann von Thüringen zu Fuß nach Köln zurückgewandert“, erinnert er sich.
In der Heimat fand er eine völlig zerstörte Stadt vor, die mit der schmucken Rheinmetropole der Vorkriegsjahre nicht mehr viel zu tun hatte. Doch statt zu resignieren, packte er an. Stralkowski, gerade einmal 18 Jahre alt, half mit, die Straßen seiner Heimatstadt von Trümmern zu befreien. Und er machte seine Sache gewissenhaft und gut. „Irgendwann war ich Lokomotivführer der Lorenbahn, mit der die Steine und der Schutt an den Stadtrand transportiert wurden“, sagt er. „Wir haben den Hügel am Aachener Weiher aufgeschüttet.“
Über den Schutt von einst ist längst Gras gewachsen und auf den Trümmerhügeln grillt inzwischen Sommer für Sommer die Jugend von heute. Stralkowski hat die Ära des Wiederaufbaus aber nicht vergessen. „Diese Zeit hat mich geprägt, ich habe erfahren, dass man mit Fleiß, Hartnäckigkeit und Zielstrebigkeit sehr viel erreichen kann“, sagt er.
Und genau auf diesen Erfahrungsschatz griff er immer wieder zurück. In seinem beruflichen Werdegang als Schlosser und seiner Karriere als Verantwortlicher der Westhovener Fußballer. 75 Jahre ist er inzwischen Mitglied des Vereins. Und er hat viele Mitstreiter beeindruckt. „Er war schon immer ein sehr eifriger und zielstrebiger Typ, dem Zusammenhalt viel bedeutet“, sagt der Ehrenamtsbeauftragte des SV Westhoven-Ensen, Herbert Meister, der Stralkowski 1958 kennenlernte. Zu diesem Zeitpunkt waren die ärgsten Spuren des Krieges längst beseitigt. „Den Sportplatz hatten wir schon 1947 wieder hergerichtet und dabei drei Bombenkrater aufgefüllt“, erklärt Stralkowski, der mit 21 Jahren Jugendleiter des Klubs wurde und mit seinem Engagement gewissermaßen die Grundlage für spätere Erfolge des Seniorenteams legte, die Anfang der 1960er-Jahre mit dem erstmaligen Aufstieg in die Bezirksliga einen vorläufigen Höhepunkt fanden.
Wagen für 1000 Mark gekauft
Von 1960 bis 1964 sowie von 1970 bis 1990 engagierte der gebürtige Kölner sich dann als Vorsitzender des SV. Doch selbst in seiner langjährigen Amtszeit als Klubchef blieb er im Grunde immer das unermüdliche Vereinsmitglied, das an allen Fronten wirbelte und sich für nichts zu schade war, auch wenn ihn längst alle respektvoll die Eins nannten und er mit der Bundesverdienstmedaille ausgezeichnet wurde. „Er hat eigentlich alles gemacht: Jahrzehntelang als Schiedsrichter Partien geleitet, den Klub in schwierigen Zeiten finanziell unterstützt, die Linien gezogen, die Netze eingehängt und an den Spieltagen Kuchen und Getränke verkauft“, erinnert sich der heutige Klubchef Christian Vonthron.
Um Letzteres erfolgreich tun zu können, hatte Stralkowski sich etwas Besonders einfallen lassen und er war ein finanzielles Wagnis eingegangen: Für 1000 Mark hatte er 1981 einem Obsthändler kurz vor den Feierlichkeiten zum 50. Vereinsbestehen einen ausrangierten Verkaufswagen abgekauft. Das Geld hatte er zuvor im Klub eingesammelt. Doch der Coup glückte. „Schon kurz nach der Inbetriebnahme des Verkaufswagens hatten wir so viel Umsatz gemacht, dass ich allen ihr Geld zurückgeben konnte“, erinnert sich der 88-Jährige. Der Wagen tat noch viele Jahre seinen Dienst am heutigen Platz an der Oberstraße, ehe er vor ein paar Jahren mit dem Ausbau des Vereinsheims überflüssig wurde. Bei Stralkowski löst das aber keine Wehmut aus. Er blickt viel lieber nach vorne, so wie er es in den 75 Jahren seiner Mitgliedschaft beim SV Westhoven-Ensen stets getan hat.
Weitere Folgen der Serie:
Folge 82: “Bubu“ Buschatzki: Für jeden Sieg gibt’s Bier
Folge 81: Esad Kahric: Der Thomas Schaaf der Bayernliga
Folge 80: Globetrotter Schick: Fußball in der Favela
Folge 79: Käpt’n Muck: 777 Spiele für seine Wurzener
Folge 78: Fitter Jacob: Derwall erkannte sein Talent
Folge 77: Daniel Kübler: Der Mann, der Frauenwünsche erfüllt
Folge 76: Wagners WM-Wette: 85-Jähriger seit 1974 Schiri
Folge 75: Julian Schiebe: Mit 21 schon Vizepräsident
Folge 74: Reini Boldt: Kult-Zeugwart mit sieben Kindern
Folge 73: Knopp in Koblenz: Tag und Nacht da für die TuS
Folge 72: Benno Kischnick: Linienrichter seit 50 Jahren
Folge 71: Der blinde Pressesprecher: Manuel Beck beeindruckt!
Folge 70: Ilse Kuck (81): Die Kassiererin der Herzen
Folge 69: Ede Strehl: Für Bochum so wichtig wie die Uni
Folge 68: Onur Ulusoy: Der Junkie mit dem großen Traum
Folge 67: Vater Sczurek (57): Leistungsträger beim eigenen Sohn
Folge 66: 500 Buden: Gerd Müller, der Bomber vom Neckar
Folge 65: Michael Wurst: Schräger Vogel mit drei Leben
Folge 64: Wäschefrau Johanna Bus: Mit Neururer fing alles an
Folge 63: Grotifant vom KFC Uerdingen: Der Rockstar unter den Maskottchen
Folge 62: Der treue Theele: 500 Ligaspiele in Folge
Folge 61: Kultfigur Paul Kluth: Mit 82 Jahren immer noch Schiri
Folge 60: Anton Plattner: Tiki-Taka mit dem Altmeister