Friesisch herb - wie das Land, so der Trainer: So sicher wie die nahe gelegene Nordsee zweimal täglich das Watt überflutet, so sicher findet man Ewald Wilken am Wochenende als Coach des SV Werdum an der Seitenlinie. Seit beinahe vier Jahrzehnten steht Wilken in der Samtgemeinde Esens für den Fußball wie kein anderer. Deshalb ist er unsere Kultfigur der Woche.
"Bei unserer Hochzeit hat er nicht geweint. Aber wenn er sieht, wie sich seine Jugendlichen entwickeln, dann bekommt er feuchte Augen"
Was dem ewigen Lauf der Gezeiten vor der eigenen Haustür recht ist, ist dem Werdumer Urgestein schon lange billig. Derzeit trainiert er mit der U 19 und der ersten Mannschaft des Vereins von der Waterkant allerdings „nur“ zwei Teams. Das ist bei ihm eher Durchschnitt. In guten Zeiten hat er sich auch schon für drei Mannschaften verantwortlich gezeigt. Wenn sich im Dorf mal wieder niemand finden ließ. Oder es die Menschen in der Heimat eher zum ostfriesischen Volkssport Boßeln zog.
Das Boßeln kann man bei ihm nicht lernen. Und auch das Ostfriesenabitur kann man bei ihm nicht ablegen. Aber dafür bringt der Ur-Werdumer den Kids im Urlaubsort hinter dem Deich seit drei Generationen das Einmaleins des Fußballs bei. Mit nachhaltigem Erfolg. Denn in Kürze ist es so weit: Dann erwartet der Verein in seiner G-Jugend den ersten Nachwuchsspieler, dessen Vater und Opa schon unter Wilkens Anleitung die Schuhe geschnürt haben. Auch Sarah Jacobs, die in der vergangenen Spielzeit in der B-Juniorinnen-Bundesliga Nord/Nordost für die U 17 des Magdeburger FFC am Ball war, lernte bei ihm das Kicken. „Sie ist bislang das größte Talent, das wir herausgebracht haben“, sagt Wilken stolz. Ansonsten sagt er nicht viel.
Wenn die Ostfriesen wortkarg und arbeitsam sind, dann ist Wilken eine Blaupause. Große Reden zu schwingen, ist nicht sein Ding. Dafür packt der Bankkaufmann lieber mit an. Der Verein aus der Ostfrieslandklasse B hat annähernd 700 Mitglieder - und das bei nur etwas mehr als 700 Einwohnern. Da gibt es immer etwas zu tun. „Mein Vater war Landwirt und so habe ich früh gelernt, zuzugreifen, wenn Arbeit anfiel“, nickt er. Eine Eigenschaft, die dem erst 1962 gegründeten SV Werdum bis heute zu Gute kommt. Wilken wäscht die Kluften, organisiert den Einkauf für das Klubheim. Auch beim Bau des ersten Vereinsheims hat er vom Estrich bis zum Dach ordentlich Hand angelegt.
Und er hat sich bereits um die Integration von Flüchtlingen gekümmert, als noch niemand darüber gesprochen hat. „Zu Beginn der 1990er Jahre kam Isy Coskun aus dem syrischen Grenzgebiet der Türkei zu uns nach Werdum“, erinnert er sich. „Er hatte nach seiner Flucht bei einigen Vereinen vorgespielt. Bei uns hat er sich am wohlsten gefühlt und blieb.“ Mit Erfolg. Heute bildet Coskun mit Wilken zusammen das Trainerteam der ersten Seniorenmannschaft des Vereins.
Auch die Urlauber profitieren von der Umtriebigkeit des 55-Jährigen. Viele Jahre organisierte Wilken im Sommer ein Freundschaftsspiel gegen eine Gästeauswahl. Wöchentlich finden in der Hochsaison Bolzplatzturniere für die auswärtigen Besucher des Luftkurortes statt, der aufgrund seiner geographischen Lage mit ganz eigenen Problemen zu kämpfen hat. So geht es zum Auswärtsspiel auch schon mal mit dem Schiff nach Norderney auf die Insel. „Da wird der Fahrdienst natürlich schon mal schwieriger“, lacht Wilken. Den übernimmt er nämlich für die A-Jugend des Klubs auch. Als Mitglied des Jugendausschusses des Fußballkreises Wittmund ist er zudem Hallenkoordinator für die Futsalmeisterschaften und hat zu diesem Zweck eine eigene Homepage entworfen.
Wilken entdeckte schon früh seine Liebe zum Ehrenamt. Bereits als 17-Jähriger betreute er während seiner Zeit als aktiver Spieler seine erste Jugendmannschaft. Ohne Unterbrechung ist er bis heute dabei geblieben. „In Spitzenzeiten sah mein Wochenende so aus: Samstagvormittag habe ich zunächst die F-Jugend gecoacht, danach die B-Jugend. Und am Sonntag dann die Senioren“ verrät er. Derzeit ist er neben seiner Tätigkeit als Doppeltrainer auch Abteilungsleiter Fußball und 2. Vorsitzender des Vereins. Und bereitet gerade die 22. Ausgabe eines Kleinfeld-Turnieres zugunsten der Krebshilfe vor, bei dem insgesamt bereits mehr als 100.000 Euro für regionale Selbsthilfegruppen eingespielt wurden.
Seine große Leidenschaft ist jedoch bis heute die Entwicklung der Werdumer Kinder geblieben: „Bei unserer Hochzeit hat er nicht geweint. Aber wenn er sieht, wie sich seine Jugendlichen entwickeln, dann bekommt er feuchte Augen“, verrät uns Wilkens Ehefrau Barbara. Nah am Wasser gebaut ist der Fußball-Junkie bei aller nordischen Rauheit dann doch. Darf er auch. Wenn nicht in Werdum, direkt hinter dem Deich, wo dann?
Weitere Folgen unserer Kultfiguren -Serie:
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Folge 93: Verrückte Hunde! Unsere vier “Finaltag”-Kultfiguren
Folge 92: Pokalsieger Pille Gecks: Dem 1. FC Köln weggerannt
Folge 91: Ewiger Klaus Wahl: Sugarboy und Stadionsprecher
Folge 90: Schiedsrichter Edgar Krause: Mit 88 pfeift er ab
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Folge 88: Manfred Müller: Elf Herzinfarkte und nicht fußballmüde
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